Rosa Kleidchen, rosa Spielzeug und jetzt auch noch das Überraschungsei für Mädchen: Die „Pinkifizierung“ greift um sich. Doch ist die Farbe wirklich das Problem? Stevie Schmiedel von Pinkstinks Germany hat ihr den Krieg angesagt. Interview: Dominique Grisard

Foto: The Pink Project – Jiyeon and Her Pink Things, Light jet Print, 2007, © Jeong Mee Yoon

Die InitiatorInnen von Pinkstinks, aber auch viele Eltern sind fest davon überzeugt: Pinke Mode, Kosmetika und Spielsachen treiben Mädchen in Passivität und Anpassung. Daran glauben auch mehr und mehr BetreiberInnen von Gefängnissen. Sie stecken aggressive Häftlinge in rosa Zellen, denn die Farbe hat angeblich eine besänftigende Wirkung. Die Reaktion eines Insassen spricht Bände: „Ich bin doch kein Mädchen und auch nicht schwul.“ Sie macht deutlich: Rosa hat nicht nur ein Geschlecht, sondern auch eine Sexualität. Im Dritten Reich wurden Männer, die man der Homosexualität verdächtigte, mit einem rosa Winkel auf der Jacke gebrandmarkt und in Konzentrationslagern interniert. Etwa 7000 von ihnen starben in den Lagern. In den 1970er-Jahren eignete sich die Schwulen- und Lesbenbewegung die Farbe an, um damit an ihre gemeinsame Vergangenheit sexueller Unterdrückung zu erinnern.
Heute sind Frauen den Männern rechtlich weitgehend gleichgestellt, und was schulische Leistungen anbetrifft, haben Mädchen die Jungs längst überholt. Ein Blick auf die pinke Prinzessinnenkultur macht jedoch deutlich: Von einer Auflösung binärer Geschlechterdifferenzen kann keine Rede sein, schon eher von einer Verlagerung der Schauplätze. Jungs und Mädchen werden von Geburt als geschlechts­spezifische KonsumentInnen angesprochen und üben sich somit schon früh als MultiplikatorInnen eines überaus traditionellen Geschlechterverständnisses – Abwertung des Femininen und Effeminierten inklusive.

Stevie Schmiedel, warum stinkt Pink? Warum stößt sich Pinkstinks Germany an dieser Farbe? Pink kann nicht stinken – Pink ist eine Farbe! Aber uns stinkt, was die Spielwarenwelt in den letzten dreißig Jahren mit dieser Farbe gemacht hat. Mädchen wird überall suggeriert: Konzentriert euch auf euer Äußeres! Pink steht für modebewusst, niedlich und harmlos. Nicht umsonst hat Prinzessin Lillifee einen befliegbaren Kleiderschrank. Und je pinker die Mädchen, desto schwarz-blauer die Jungs. Blumen, Herzchen, Tierchen – die dürfen Jungen nur von Weitem anschauen. Unternehmen verdienen hervorragend daran, dass Eltern mit Söhnen und Töchtern nun alles in zwei Farben haben müssen. Die ­Kinder werden schon früh gegeneinander aufgehetzt, auch daran verdienen Medien, Warenwelt und Populärkultur, nicht aber unsere Kinder.

Was war der Auslöser für die Gründung Ihrer Initiative Pinkstinks Germany? Und was wollen Sie erreichen? Auslöser war ein Interview im März in der Zeitschrift „Die Zeit“. Dort stöhnte ich, dass es zwar ­seriöse aktuelle Studien gibt, wie Germanys Next Topmodel das Körperbild von Kindern schädigt, während gleichzeitig jede Leuchtlitfaßsäule in Hamburg Heidi Klums „Gold für Deutschland“ zierte. Ich sagte, man müsste Pinkstinks in Deutschland gründen und bekam tonnenweise positive Zuschriften. So flogen wir nach England, trafen die Aktivistinnen von Pinkstinks UK und gründeten Pinkstinks Germany. Im Mai waren wir auf dem Cover der „Hamburger Morgenpost“ und machten auf die sexistische C&A-Bademoden-Werbung aufmerksam, die sofort ab­gehängt wurde. Im Juli gingen wir mit unserer Website online, seitdem steigt unsere Medienresonanz. Unser Ziel ist unter anderem, die Werbung für die neue Staffel von Germanys Next Topmodel zu verhindern. Darüber hinaus planen wir demnächst zusammen mit anderen Organisationen eine Petition gegen den Deutschen Werberat. Er soll endlich Kinder als Konsumenten von Außenwerbung in seinen Kriterien berücksichtigen.

Stichwort rosa Überraschungseier. Was ist da das Pro­blem? Ü-Eier sind Mitbringsel für Kleinkinder. Die pinken Eier werden mit den Feen der Winx-Club-Serie beworben, die wie übersexualisierte Victoria’s-Secret-Models aus­sehen. Sie haben extrem dünne Taillen und suggerieren: Sei hübsch, sexy, verführerisch! Ferrero sagt, da sei auch was zum „Werfen“ in ihren Eiern, wir haben es noch nicht gefunden – nur Jungs dürfen noch Roboter zusammenbauen. Diese Geschlechterklischees erzeugen Mädchen, die meinen, mit einem Minirock Konflikte lösen zu können, und die sich von Heidi Klum erzählen lassen, wie sie auszusehen haben.

Mädchen dürfen heute fast alles spielen und tragen, was Jungen auch dürfen. Warum, wenn Mädchen doch fast unbegrenzte Wahlmöglichkeiten haben, fällt ihre Wahl auf Pink? So unbegrenzt sind ihre Wahlmöglichkeiten nicht. In Krippe, Kindergarten und Schule wird ihnen schnell durch die aktuelle Mode gezeigt, was ein Mädchen zu mögen hat. Alle Kinder lieben Farben. Jungs spüren sehr früh, dass sie sich für Pink nicht interessieren dürfen, Mädchen werden von Geburt an damit ­beschenkt, und Verwandte kommentieren: „Guck mal, das mögen Mädchen doch! Siehst du süß darin aus!“ Schon früh begegnen Kinder heute in Werbung, Fernsehen und Kinderliteratur klassischen Rollenbildern. In den pinken Spielwaren erkennen sie die passenden Accessoires auf der Suche nach einer erkennbaren Identität. Und, wie die Psychologie sagt, brauchen Kinder diese. Dabei gibt es Kinder, die genau wissen, dass sie einem Geschlecht zugeordnet sind, aber gleichzeitig verstehen, dass Menschen „Mädchen- und Jungsdinge“ erfinden – wenn man mit ihnen darüber spricht.

Wenn ich es richtig verstehe, geht ihr davon aus, dass die Pinkifizierung der Mädchenwelt ein Produkt der Mode-, Schönheits- und Spielzeugindustrie ist. Wie geht ihr mit Mädchen und Eltern um, die der Überzeugung sind, der Wunsch nach Rosa stecke tief in den Mädchen drin, sei qua Natur gegeben? Erst einmal ist Rosa für Mädchen historisch gesehen sehr jung. Aber abgesehen von der Farbe geht es ja in der Argumentation eher um ein vermeintliches Puppen- oder Mode-Gen. „Frauen machen sich einfach gerne hübsch, von Geburt an. Mit Puppen trainieren sie instinktiv für das Mutterdasein.“ Das ist natürlich großer Unsinn. Kinder kopieren die Erwachsenenwelt und nehmen die Rollen an, die ihnen vorgelebt werden. Ethnologische Forschungen haben längst belegt, dass es „den“ Mutter­instinkt nicht gibt. Wir vererben unsere Vorstellung vom Muttersein, keine biologischen Instinkte.

Laut einer Studie der Sozialwissenschaftlerin Emily W. Kane können Mädchen bis zur frühen Adoleszenz mittlerweile aus einem größeren Identitätsangebot auswählen als Jungen. Eltern würden es begrüßen, wenn ihre Tochter mit Jungs rumtollt, statt mit Puppen zu spielen. Typische Mädchenaktivitäten betrachten sie als weniger wertvoll und unkreativ. Viele Eltern ­regen sich auf, was wir denn hätten: Rosa wäre nur eine Phase, danach würden die Mädchen wieder Fußball spielen, Jura studieren. Wir ergänzen dann: Und sich mit einem geringeren Gehalt zufriedengeben. Oder mit ­ihren Töchtern Castingshows schauen und zu­sehen, wie sich diese Mädchen unwohl in ihren ­Körpern und ihrer Identität fühlen und das als „normal in der ­Pubertät“ bezeichnen.

In der Kampagne „Klatsch – ins Gesicht von Kindern” gehen Sie davon aus, dass Make-up zu einer verfrühten Sexualisierung von Mädchen beiträgt. Was hat Pink mit Sexualität zu tun? Pink lehrt Mädchen früh, dass „hübsch und attraktiv sein“ ein wichtiges Gut ist, mit dem sie das Lob ihrer Umwelt einheimsen. Natürlich sollen sich Kinder kreativ schminken dürfen. Dies schon mit zwei Jahren zu tun und eine erwachsene, sexuelle Attraktivität nachzuahmen, finden wir jedoch grenzwertig.

Kürzlich gab es die EU-Kampagne „Science, it’s a girl thing!” Wie schätzen Sie diesen Versuch ein, junge Frauen mit stereotypen Bildern aus der Fashion- und Beauty-Welt für das Chemiestudium zu begeistern? Ganz einfach: traurig. In England fanden viele Mädchen das Video allerdings cool – es spiegelt alles ­wider, was sie aus Zeitschriften und Popkultur kennen. Die meisten Mädchen geben heute als Berufswunsch „Topmodel“ an. Ob ein Film sie plötzlich dazu bewegt, Physik zu studieren, ist aber eher unwahrscheinlich.

In den Medien sind zunehmend auch „Princess Boys” Thema: Jungen, die rosa Kleider und Glitzerkrönchen tragen. Zunächst: Es ist völlig okay, Royals nachzuahmen. Aber warum immer so dünn, so vom Mann abhängig? Im Lillifee-Kleid werden auch Jungs nur weiter dieses traditionelle Bild bekräftigen, das hilft niemandem. Da waren wir mit Beckhams ­metrosexual look schon weiter, als es schien, ein männlicher ­Glamour würde modern werden. Wenn der aber ebenfalls in einem Schönheitszwang endet, wäre es genauso schade – Essstörungen für Männer steigen eh schon. Fazit: Lasst unsere Kinder sich ­verkleiden, bunt wie Paradiesvögel, lasst sie auch mal „Dame“ spielen. Aber gebt ihnen „Damen“ als Vor­bilder, die nicht stets verfügbar wirken. Dafür kämpfen wir.

Stevie Schmiedel hat in Nottingham zu Gender­forschung promoviert und ist Lehrbeauftragte an der Uni Hamburg. Sie hat zwei Töchter, fünf und acht. Die Basler Genderforscherin Dominique Grisard schreibt zurzeit an der New Yorker New School for Social Research an einer Weiblichkeits- und Sexualitätsgeschichte rund um die Farbe Pink.