Statement des Treffpunkts und Beratung für Sexarbeiter­Innen in Berlin zu fünf Jahren Queer-Feminismus

Die überzeugendsten Argumente zog der Feminismus immer aus dem klaren Blick auf das Leben und die Erfahrungen von Frauen. Doch wenn es um Sexarbeiter_innen geht, dann verwandelt sich dieser Blick schnell in selektive Wahrnehmung. Der Altfeminismus sieht sie unterschiedslos als Opfer. Gehen sie der Sexarbeit ohne größere Probleme nach, wird ihnen Blauäugigkeit und Selbstbetrug unterstellt. Im Auge des Altfeminismus sind selbstbestimmte Prostituierte so etwas wie der blinde Fleck. Dagegen steht der Queer-Feminismus für die Chance, eingefahrene Denkmuster aufzubrechen und wieder dort anzusetzen, wo feministische Ideen mal ihren Ausgangspunkt hatten: im Blick auf sich selbst und die eigenen Erfahrungen.

Bislang wurde diese Chance aber nicht wirklich genutzt. Während sich die LGBTIQ-Szene und die Prostitutionsszene in anderen Ländern nicht voneinander trennen lassen, gibt es in Berlin kaum Berührungspunkte zwischen beiden Gruppen. Zwar wird in queer-feministischen Zusammenhängen, z.B. dem Slutwalk stark mit dem Körper als political tool“ gearbeitet, um gegen Sexismus und Heteronormativität zu kämpfen. Es wird jedoch keine Verbindung zur Sexarbeit hergestellt, obwohl Sexarbeiter_innen jeden Tag mit ihrem Körper arbeiten. In Uniseminaren und einigen Medien werden sie zwar in die Diskussion einbezogen. Aber auf persönlicher Ebene ist das eher selten. Es ist erschreckend, wie viele queer-feministische Sexworker_innen sich nicht trauen, sich in ihren WGs oder in queer-feministischen/linken Politgruppen zu outen. Ausserdem tendiert die LGBTIQ-Szene dazu, Maskulinität zu feiern, während Femmes und andere Verkörperungen von Femininität eher kritisch bis ablehnend gesehen werden. Für Nacktheit, zum Beispiel bei Performances, werden mitunter Triggerwarnungen ausgesprochen. So geht viel Sexpositivität verloren.

Während Sexarbeit in der queer-feministischen Szene zur Zeit eher ein Randthema ist, erleben wir in den Mainstream-Medien eine Renaissance moralistischer Stimmungsmache. Von Alice Schwarzer bis Femen – die Prostitution ist wieder zur Projektionsfläche feministischer Empörungs- und Verbotsdiskurse geworden. Leider sind viele Medien nicht bereit, diese Positionen zu hinterfragen. Auch deshalb gelingt es abolitionistischen Frauenverbänden wie der „European Womens Lobby“ derzeit, europaweit politischen Druck aufzubauen. Der Ruf nach gesellschaftlicher Ächtung der Prostitution, nach Freierbestrafung und Prostitutionsverboten entsetzt uns. Mit Sorge beobachten wir politische Bemühungen, die Sexarbeit durch erweiterte Polizei- und Ämterkontrollen neu zu reglementieren. Es droht eine Rückkehr zu Kriminalisierung und Doppelmoral.

Für uns bedeutet diese Entwicklung, dass wir immer wieder aufs Neue für unsere Rechte kämpfen müssen. Um Klischees und Diskriminierung abzubauen, muss noch viel getan werden. Das Prostitutionsgesetz muss konsequent umgesetzt und sinnvoll weiterentwickelt werden. Statt einseitiger Opferdiskurse über Menschenhandel brauchen wir mehr Anerkennung für unsere Arbeit. Statt altfeministischer Bevormundung brauchen wir gesellschaftliche Akzeptanz. Statt moralisierender Medienberichte brauchen wir ein journalistisches Bewusstsein für Selbstbestimmungsrechte und die Bereitschaft, Sexarbeit und Feminismus zusammenzudenken. Statt Verbotsdebatten brauchen wir Respektkampagnen.

www.hydra-berlin.de

Weitere Beiträge aus unserem Online-Dossier Queer-Feminismus gibt’s hier…