Passen Feminismus und Mode überhaupt zusammen? Ein Interview mit der Schauspielerin Pegah Ferydoni und mit Anne Jung von der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international. Beide engagieren sich für die Initative #untragbar- Gegen die Masche der Textilindustrie.

Interview: Laura-Solmaz Litschel

Vor kurzem jährte sich der Einsturz der Textilfabrik ‚Rana Plaza‘ in Bangladesch bei der es zu 1127 Toten und 2438 Schwerverletzten gekommen ist. International wurde deshalb im April zum ‚Fashion Revolution Day‘ aufgerufen. Tatsächlich hat sich aber leider kaum etwas verändert. Die ArbeiterInnen die das Unglück überlebt haben, warten immer noch auf ausstehenden Entschädigungszahlungen und Unternehmen wie H&M, Mango und C&A lassen weiter unter schlechten Bedingungen produzieren ohne, dass der Umsatz leidet.

Die Schauspielerin Pegah Ferydoni (u.a. bekannt aus Filmen wie ‚Women without Men‘ oder der Serie ‚Türkisch für Anfänger‘) engagiert sich deshalb bei der Initiative #untragbar- Gegen die Masche der Textilindustrie. Anne Jung ist Mitarbeiterin bei der Hilfsorganisation medico international, die die Textilarbeiter_innen in Bangladesh und Pakistan vor Ort mit medizinischen und Projekten der Selbstorganisation unterstützt. Die Initative „#untragbar“ wurde in diesem Jahr von medico international, ver.di und INKOTA- Netzwerk/Kampagne Saubere Kleidung ins Leben gerufen. Ziel ist endlich etwas an den Arbeitsbedingungen der NäherInnen zu verbessern und die Unternehmen dazu zu zwingen ausstehende Entschädigungsgelder zu zahlen. Die Initative kann auf der Website und auf Facebook unterstützt werden. In unserem Interview sprechen die Beiden über die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie, uneinsichtige Unternehmen, soziales Engagement, ‚richtiges‘ Einkaufen und die Unmöglichkeit schöne Mode ohne schlechtes Gewissen zu tragen.

MISSY MAGAZINE: Das Unglück ist jetzt ein Jahr her, was hat sich seitdem verändert und was muss sich noch ändern?

ANNE JUNG: Es fehlt den Überlebenden nach wie vor an ausreichender materieller, medizinischer und psychosozialer Hilfe. Die Verhandlungen um die Entschädigung der Opfer von Rana Plaza und den anderen Industriekatastrophen in Bangladesch und Pakistan haben noch kein befriedigendes Ergebnis erzielt. Bisher gezahlten Summen reichen für nichts und niemanden aus. Viele Unternehmen, darunter Adler, eine deutsche Firma aus Aschaffenburg, haben noch gar nichts gezahlt!
Fast alle internationalen Unternehmen spielen auf Zeit – eine untragbare Situation. Die Weigerung der Unternehmen zu zahlen und der Wunsch politisch etwas zu ändern, waren für uns die Gründe, warum wir bei medico gemeinsam mit ver.di und dem Inkota-netzwerk die Kampagne #untragbar gegründet haben. Wir wollen Entschädigungen für die Näher_innnen durchsetzen, aber auch neue Regeln der Unternehmenshaftung, die Handelsketten zwingen, bessere Arbeitsbedingungen und Entlohnung vor Ort zu garantieren.

MISSY MAGAZINE: Was hat das Unglück in Rana Plaza für Dich bedeutet?

PEGAH FERYDONI: Ich war fassungslos und schockiert von den Bildern, die uns von dort erreichten. Ich glaube vielen Menschen ging es genau so. So etwas darf nicht passieren. Nie wieder.

MISSY MAGAZINE: Weshalb hast Du dich anschließend entschlossen dich bei #untragbar zu engagieren?

PEGAH FERYDONI: Die Kleidung, die wir am Leib tragen, wird von Menschen gefertigt, die tagtäglich Unerträgliches erleiden müssen, damit die Branche immer sattere Gewinne erzielt. Das ist völlig unabhängig davon, ob ich mir ein Billigshirt oder Designerjackett leiste. Deswegen ist es mir nicht gleichgültig, wie Textilunternehmen dort produzieren. Ich will einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass die Anliegen der Menschen hier Gehör finden.

MISSY MAGAZINE: Wieso wird schöne Mode meist unter so schlechten Bedingungen produziert?

ANNE JUNG: Massenhaft Menschen unter den miserablen Arbeitsbedingungen schuften zu lassen, ist leider eine altbekannte Strategie im Kapitalismus. Eine Mischung aus Profitgier und Nachlässigkeit gefährdet das Leben von Millionen Arbeiterinnen.
Die Gier der Konzerne steigt auch mit der Nachfrage und da kommen wir ins Spiel: Heute kaufen wir durchschnittlich elfmal mehr Kleidung als noch vor 20 Jahren und geben dafür kaum mehr Geld aus. Bezahlt wird das von den ArbeiterInnen.

MISSY MAGAZINE: Inwieweit arbeitet ihr denn mit Frauen vor Ort zusammen?

ANNE JUNG: Letztes Jahr haben wir viele Veranstaltungen mit der pakistanischen Gewerkschafterin Zehra Khan durchgeführt, eine sehr kämpferische Frau. Sie organisiert die Textilarbeiterinnen in Karatschi. Frauen wie sie zahlen in Pakistan einen hohen persönlichen Preis. Die meisten verzichten auf eine eigene Familie.
Anlässlich des Jahrestags von Rana Plaza waren ebenfalls zwei Gewerkschafterinnen hier: Safia Parvin und Shila Begum. Sie unterstützen die National Garment Workers Federation (NGWF). Sie haben in Dhaka Demos organisiert, an denen bis zu 50.000 Leute teilgenommen haben. Shila hat das Unglück von Rana Plaza knapp überlebt. Sie kann aufgrund der Verletzungen nie wieder Kinder bekommen. Sie trug ihren Arm immer noch in einer Schiene. Es war sehr eindrucksvoll, als sie vor den Toren der Adler-Werke stand und Entschädigung forderte. Es gab eine Mahnwache und Kerzen wurden auf schwarze Tücher gestellt um an die Opfer des Unglücks zu erinnern. Das Unternehmen hat sie, die Überlebende, nicht einmal empfangen.

MISSY MAGAZINE: Welche Möglichkeiten bieten sich den Näherinnen um ihre Arbeitsbedingungen aktiv zu verbessern?

ANNE JUNG: Nur 1% der Näherinnen und Näher sind gewerkschaftlich organisiert und die Gewerkschaften werden nur zu oft an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert. In den Textilfabriken in Südasien, wo der Großteil unserer Kleidung herkommt, schuften die Näherinnen und Näher pro Schicht bis zu 14 Stunden, viele von ihnen ohne Vertrag, sie haben kaum freie Tage, ihre Überstunden werden nur zum Teil bezahlt. Den meisten fehlt daher die Kraft, sich auch noch politisch zu organisieren.
Nichtsdestotrotz hat eine spontane Streikbewegung über zwei Monate hinweg in Bangladesch eine 75-prozentige Erhöhung des Mindestlohns erzielt. Aber auch die steht im Moment nur auf dem Papier. Und sollte sie umgesetzt werden, müssten das die Arbeitgeber in Bangladesch zahlen: Die internationalen Unternehmen weigern sich, höhere Preise zu bezahlen. Dabei würden wir hier selbst eine Verdopplung des Mindestlohns kaum merken, wenn sie auf die Preise aufgeschlagen wird: Das wäre höchstens ein Euro mehr pro Kleidungsstück.
Wir sehen das gerade bei den Entschädigungsverhandlungen. Wie sollen lokale Gewerkschaftsführerinnen Druck auf die europäischen Konzerndirektoren ausüben, um sie zu Zahlungen zu zwingen? Das funktioniert nur, wenn wir uns hier mit den Frauen und Männern solidarisieren und den Läden wie Mango, C&A und Co klar machen: Wir wollen das nicht mehr! Nur die Angst vor Umsatzeinbußen kann die Firmen zum Handeln bringen.

MISSY MAGAZINE: Zara, Mango, H&M: Kann man überhaupt ‚richtig Handeln‘ beim Einkaufen?

ANNE JUNG: Leider nein. Über die Veränderung von individuellen Kaufentscheidungen lässt sich das Thema nicht auflösen. Auch Fair Trade kann das systemische Problem nicht lösen. Und gegenüber den großen Marken ist erst recht großes Misstrauen angesagt: Häufig werden Sachen, die in Bangladesch oder Pakistan produziert wurden, zum Beispiel für eine letzte Waschung oder für allerletzte Nähte in ein europäisches Land geliefert, das dann als Herkunftsland angegeben werden wird.
Die Gewerkschafterinnen aus Bangladesch, mit denen wir unterwegs in Deutschland waren, warnen vor einem Boykott. Denn so katastrophal die Arbeitsbedingungen auch sein mögen – alles ist besser als ohne Job da zu stehen, der oft die einzige Emanzipationsperspektive darstellt. Die NäherInnen brauchen keinen Boykott, sie brauchen eine europäische Handelspolitik, die sie in ihren Rechten schützt. Bislang fehlen klare Regeln, die Unternehmen in ihre Schranken weisen. Wir fordern mit der Initiative #untragbar von der Politik, regulierend einzugreifen und dafür zu sorgen, dass Unternehmen haften müssen, wenn sie in ihren Geschäftsbeziehungen Menschenrechte verletzen. Das klingt trocken, kann aber Leben retten und gute Arbeit erst ermöglichen.

MISSY MAGAZINE: Wie kann man mit diesem Wissen im Hinterkopf noch ein ‚Recht auf schöne Kleidung‘ rechtfertigen?

PEGAH FERYDONI: Für mich ist Mode mehr als nur Kleidung. Sie ist persönlicher Ausdruck, mal Kostüm, mal zweite Haut. Ich liebe Mode und habe keine Lust, mich für meine Kleidung zu schämen. Die Textilindustrie muss menschenwürdige Arbeitsbedingungen schaffen, damit Mode wieder Spaß macht, und kein schlechtes Gewissen.