Von Jennifer Vanessa Maj

Das Glockenspiel erklingt und füllt den hellen und großzügigen Raum mit sanftem Geklimper. An den hohen Fensterscheiben kleben selbstgebastelte Schmetterlinge, während sie draußen in echt vorbeiflattern. Es ist ein schöner Tag – perfekt für einen Ausflug in die Vergangenheit. Nach 15 Jahren wieder zurück auf die Primarschulbank.

Vor der Wandtafel steht der Lehrer mit verschränkten Armen und blickt ruhig in die Runde. Langsam legt sich das Gemurmel und Treiben der 1b. Die Kinder machen es dem Lehrer nach und bleiben mit verschränkten Armen auf ihren holzigen Drehstühlen sitzen. Michael Zimmermann ist 25 und als junger Primarlehrer in diesem Beruf nicht unter vielen Gleichgesinnten. Auf der Primarstufe sind gerade mal zehn Prozent Schweizer Schulzimmer mit Männern besetzt. Dies wurde ihm zu Beginn vor allem im Lehrerzimmer bewusst. «Da kann man nicht miteinander umgehen wie auf der Baustelle», gibt Michael lachend zu und meint damit den burschikosen Umgang unter Kollegen. Als passionierter Downhill-Fahrer und Eishockey-Spieler vermisse er dies ab und an.

Auch das Märchen «Drosselbart» ist per se keine Lektüre für den Bau, doch die im sogenannten Morgenkreis versammelten Kinder lauschen nun gebannt Michaels Worten, mit denen er theatralisch und ohne Probleme die Aufmerksamkeit von allen gewinnt. Dass die Prinzessin, die aus einer Schar Männer ihren Gemahlen aussuchen soll, an jedem etwas auszusetzen hat und alle auf fiese Art und Weise in die Wüste schickt, amüsiert die ErstklässlerInnen und beim gemeinsamen Betrachten der Illustrationen im Buch herrscht eine entspannte und gleichzeitig neugierig aufgeweckte Atmosphäre.

Auf die Frage, ob er sich schon immer als Prinzessinnen-Geschichten- vorlesenden Primarlehrer gesehen hat, lautet die Antwort eindeutig «Ja». Schon als Neunjähriger war er so von seiner Primarlehrerin begeistert, dass er wusste, irgendwann will auch er seine eigene Klasse begeistern. Schräge Blicke aus seinem Umfeld bezüglich seines Wunschberufes gab es nicht.

„Man muss zart mit den Samen umgehen“

Als nächstes steht das Einpflanzen von Sonnenblumensamen in einen Pappbecher mit Erde auf dem Plan. Ein heikles Unterfangen mit ErstklässlerInnen, würde man meinen, doch Michael hat alles bestens im Griff und mahnt nur ab und zu mit einem langgezogenen und nachdrücklichen «Schhh» zur Ruhe. Egal ob Mädchen oder Jungs – beide reagieren mit demselben Maß an Respekt dem Lehrer gegenüber.

Dies ist jedoch nicht in allen Klassen der Fall. «Oft braucht es ein dominanteres Auftreten und einen schärferen Ton.» Die Klasse 1b ist jedoch genau wie die Sonnenblume, die schon bald aus den Bechern sprießen wird, «pflegeleicht» und rasch sind die Samen behutsam unter Michaels Anweisungen in der feuchten Erde platziert.Mit Kindern ist es nämlich genau wie mit Sämchen, man muss vorsichtig und geduldig mit ihnen umgehen, damit sie keimen und wachsen. Einen grünen Daumen hat Michael auf jeden Fall.

„Ich finde es toll, wie er mit ihnen umgeht“

In der «Znüni»-Pause schaut eine junge Kollegin vorbei. Lächelnd blickt sie zum Schreibtisch rüber, wo ein Junge mit großen Augen Michael gerade von seinem Pfingsten-Ausflug erzählt. «Woow», staunt Michael und zaubert dem Jungen ein noch größeres Lächeln ins Gesicht. Michaels Kollegin wünscht sich bei diesem Anblick, es gäbe mehr Männer in ihrem Beruf.

In diesem Alter brauchen Kinder möglichst vielfältige Bezugspersonen mit den diversesten Eigenschaften. Z.B. eine Lehrerin, die mit Begeisterung Fußball spielt und einen Lehrer, der sich im künstlerischen Bereich mit ihnen austobt. «Ich bin zwar nicht der größte Sänger, aber zur Unterstützung mit Gitarre jederzeit bereit.» Auch Michaels Vorstellung geht in die Richtung eines gemischten Erziehungsteams. Grossrat und Mitglied der Bildungskommission Thomas Leitch teilt diese Meinung. Für ihn ist klar, dass die Knaben in der Schule auch männliche Vorbilder haben sollten, «damit sie von gängigen Klischees wegkommen.»

Eine mögliche Maßnahme wäre es, die Männerquote an der Pädagogischen Hochschule einzuführen, fordert SP-Ständerätin Anita Fetz. Anstrebenswert wäre ein 30-Prozent-Männeranteil für männliche Lehrer an Primarschulen. Mit Veranstaltungen wie dem «Gendertag – Zukunftstag für Mädchen und Jungs» sollen neue Berufs- und Arbeitsfelder den jungen Leuten bekannt und Berufe im Bildungswesen schon frühzeitig Männern schmackhaft gemacht werden. Ein leichter Aufwärtstrend ist vorhanden; letztes Jahr waren so viele junge Männer in der Ostschweiz an der Pädagogischen Hochschule eingeschrieben wie noch nie.

Vielleicht ist bei ihnen der Knoten geplatzt – wie bei mir, als ich vor der großen Pause beim Knotenspiel als Gast den Kinder-Wollknäul lösen durfte. Vor 15 Jahren saß ich in genau so einem Klassenzimmer vor einer wunderbaren Primarlehrerin. Heute war es ein Primarlehrer und ich würde keinen Moment zögern: Mein jüngeres Ich hätte sich an diesem Morgen genauso wohl und aufgehoben gefühlt. Wenn noch weitere Knoten platzen, sehen wir hoffentlich bald mehr junge und motivierte Männer wie Michael Zimmermann im Morgenkreis sitzen, von Prinzessinnen erzählen und zarte Sämchen pflanzen.