Von Katrin Gottschalk

Frau Diehl, Ihre Lesung neulich in Berlin haben Sie direkt mit einer Erklärung begonnen: Ihnen ginge es mit Ihrem Buch nicht darum, kinderlose Frauen und Mütter gegeneinander auszuspielen. Ist das ein Vorwurf, den Sie häufig hören?
Häufig ist das Erste, das die Leute von dem Buch erwarten, dass ich Prenzlauer-Berg-Mütter runter machen will. Aber das will ich auf keinen Fall. Wir sitzen im Prinzip alle im gleichen Boot und hadern mit unseren Lebensentscheidungen. Dieses starre Mutterideal in unserer Gesellschaft schränkt sowohl kinderlose Frauen als auch Mütter ein. Denn das Schlimme ist ja: Als Mutter hast du objektiv betrachtet tatsächlich den Kürzeren gezogen und genau das ist ja das Problem.

Nicht mehr in den „besten Jahren“ und ohne Kinder: Das muss schrecklich sein! Wird Frauen zumindest immer wieder gesagt.

Also wollen Sie sich mit dem Buch solidarisieren?
Ja, es soll vor allem ein Werkzeug für Frauen sein, um sich von diesen ganzen Negativ-Stereotypen abzuwenden, eine eigene Sprache finden zu können und einfach zu sehen, was sie wirklich wollen. Dabei ist es wichtig zu verstehen: Das ist eine ganze Erzählung in unserer Gesellschaft, die in den Frauen arbeitet und ihr Selbstbild bestimmt. Es ist nicht immer so, dass konkret gesagt wird: Du, warum hast du keine Kinder? Das kommt sehr subtil, denn das Kinderkriegen ist fest an unser Bild von Weiblichkeit geknüpft. Da wird ein großer psychologischer Druck aufgebaut, der auf den Frauen lastet.

Führt das nicht auch dazu, dass Frauen permanent daran gehindert werden, zufrieden zu sein? Weil sie sich eben die ganze Zeit an all den Erwartungshaltungen von außen abarbeiten?
Auf jeden Fall! Ich habe gemerkt, dass das etwas ist, was sich durch meine ganze Arbeit zieht: Frauen von diesem Schuldgefühl zu befreien, das ihnen aufgrund ihrer Gebärfähigkeit auferlegt wird und durch das sie in unserer Gesellschaft permanent konditioniert werden. Dieser Druck wird dann noch positiv als Liebe und Fürsorglichkeit aufgewertet und deshalb fällt es Frauen schwer, sich davon zu distanzieren. Diese ganze Idee, dass biologische Nachkommenschaft so essenziell ist für deinen Lebenssinn – das könnte ja auch ganz anders aussehen. Man könnte etwa soziale Elternschaft aufwerten.

Sie widmen der sozialen Elternschaft ein Kapitel im Buch. Was hat es damit auf sich?
Ich habe während der Interviews immer wieder von Frauen gehört, dass sie keine Kinder wollen, weil sie sich die klassische Kleinfamilie nicht für sich selbst vorstellen können. Denn in der heterosexuellen Kleinfamilie ist die Partnerschaft sehr wahrscheinlich nicht mehr gleichberechtigt, weil dann doch alles darauf hin läuft, dass mehr Arbeit bei der Frau hängen bleibt – selbst wenn der Mann sich bemüht. Es ist schwer, da einen anderen Weg einzuschlagen – einerseits legt einem die Arbeitswelt da Steine in den Weg, andererseits ist es der eigene Umkreis, der bestimmte Erwartungshaltungen an Mütter hat. Viele Frauen denken dann: Ja, ich bin ja auch besonders für das Kind verantwortlich, vielleicht ist ja doch was dran an den Bindungstheorien. Soziale Elternschaft hingegen begreift Kinderbetreuung als etwas gesamtgesellschaftliches.

die_uhr_die_nicht_tickt-9783716027202Sarah Diehl
„Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glückliche. Eine Streitschrift“
Arche Literatur Verlag, 256 Seiten, 14,99 Euro.

Und wie kann soziale Elternschaft konkret aussehen?
In Kanada ist erst dieses Jahr ein Gesetz verabschiedet worden, das es bis zu vier Personen erlaubt, sich als soziale Eltern für ein Kind eintragen zu lassen. Das finde ich grandios! Denn natürlich kann man Erziehungsarbeit teilen, ohne dass das schlecht für das Kind ist. Wenn ein Kind nur einer frustrierten und überforderten Mutter ausgesetzt ist, wirkt sich das eben auch nicht gerade gut aus. Es geht nicht darum, dass man das machen muss – aber es ist gesetzlich erlaubt. Und diese Personen teilen sich dann eben die Verantwortung. In Deutschland wäre so etwas undenkbar. Hier hält man sich einfach eisern am biologischen Konzept Mutter, Vater, Kind fest. Auch homosexuelle Lebenspartnerschaften werden permanent entwertet als nicht „wahrhaftig“ oder nicht „authentisch“. Und das alles wird mit „Natürlichkeit“ begründet.

Natürlichkeit war in letzter Zeit auch immer ein zentrales Argument, wenn „Social Freezing“, das Einfrieren von Eizellen, debattiert wurde. Wie ist da Ihr Standpunkt?
Mich stört an dieser Diskussion, wie hier die Leute die Natur als Refugium gegen den Kapitalismus sehen wollen. Das natürliche Gebären einer Frau ist keine tolle Sache – nicht ohne die Technik, die wir heute schon ganz selbstverständlich nutzen. Dieses Naturbild wird einfach benutzt, weil einem die wachsende Autonomie der Frau suspekt ist. Aber: All den kapitalismuskritischen Perspektiven auf Social Freezing will ich ja nicht widersprechen. Klar, diese Technik wird in einer Welt vorangetrieben, der das zugute kommt. Und das ist die kapitalistische Arbeitswelt, die wir haben. Deswegen muss man das auch beobachten, wie Frauen mittels Social Freezing unter Druck gesetzt werden könnten. Das finde ich nicht irrelevant. Aber ich sperre mich gegen diesen Naturfetisch und dass den Frauen etwas madig gemacht werden soll, das ihre Handlungsoptionen erweitern kann.

Deshalb schreiben Sie in Ihrem Buch, dass die Natur keine Freundin der Frauen sei?
Ja, zumindest nicht so, wie wir sie interpretieren. Der Bezug auf die Natur hat ja auch einfach Strategie: Gegen die Erzählung der tickenden Uhren können sich Frauen schlecht wehren. Klar können Frauen sagen: Bei diesen Rahmenbedingungen wäre ich ja bescheuert, wenn ich Kinder kriegen würde. So kann man argumentieren und ganz klar Ungerechtigkeiten aufzeigen. Andere soziale und ökonomische Druckmittel zur Mutterschaft sind weggefallen, denn Frauen können nun auf eigenen Beinen stehen. Aber sich gegen das Argument zu wehren, dass du diesen Kinderwunsch aus deiner Biologie heraus haben musst, ist schwerer. Ich finde es nicht unerheblich, dass gerade jetzt, in Zeiten der Krise, der Staat die Pflegearbeit wieder mehr innerhalb der Familie verortet, da kommt es ihnen gerade recht, den Frauen wieder einzureden, dass es in ihrer Biologie liege, Fürsorgearbeit zu leisten. Die Frau sozusagen als Wärmequell der Gesellschaft. Und das ist sicherlich ein Grund, warum Kinderlose so abgewertet werden, sie entziehen sich nämlich dieser Erwartungshaltung.

Und wenn eine Frau diese Rolle nicht annimmt, kinderlos bleibt, muss sie zwangsläufig darunter leiden. Wie war denn Ihr Eindruck: Versinken die Frauen, mit denen Sie gesprochen haben, in Selbstreue?
Keineswegs, aber wenn dir permanent eingeredet wird, dass du unzufrieden bist, weil du keine Kinder hast, wann beginnst du das selbst zu glauben? Und wenn es mal nicht gut läuft, schiebt man das eigene Gefühl der Leere auf die Kinderlosigkeit. Tatsächlich bereuen aber meine Interviewpartnerinnen ihre Kinderlosigkeit nicht.

Sie beschreiben Mutterschaft und Karriere als zwei Seiten derselben Medaille, als zwei Seiten der Leistungsgesellschaft. Auch ein Grund, sich gegen Nachwuchs zu entscheiden?
Es haben wirklich sehr viele Frauen gesagt, dass sie sich allen möglichen gesellschaftlichen Erwartungshaltungen entziehen wollen, der Lohnarbeit, die auf den Burnout abzielt ebenso wie dieser Vorstellung der Helikopter-Mutter: Du musst schön sein, selbstbewusst, klug, arbeiten gehen, alles für das Kind tun und einen tollen Partner haben. Dabei haben viele Mütter ja nicht den einen hochbezahlten Job, um ihre Kinder zu ernähren, sondern vielleicht drei prekäre.

In Debatten um Kinderlosigkeit geht es immer um die Akademikerinnen, die sich mit ihren tollen Genen bitteschön fortpflanzen sollen – Frauen in anderen gesellschaftlichen Gruppen sollen sich dagegen mit der Reproduktion zurückhalten.
Genau, deshalb kann Mutterschaft für manche auch eine Form von Widerstand sein – so wie es Kinderlosigkeit für andere ist. Das ist mir ein wichtiger Punkt. Das ist ja ein Klassiker der afroamerikanischen Frauenbewegung, genau darauf hinzuweisen. Und so erzähle ich im Buch auch von einer schwarzen Frau in Deutschland, die Kinder hat und sich mit den rassistischen Stereotypen herumschlagen muss, wie sie als Mutter unterschätzt wird und wie kritisch sie von den Ämtern beäugt wird. Eine andere bewegende Geschichte ist die einer Interviewpartnerin mit Glasknochen, der einfach pauschal das Recht auf einen Kinderwunsch aberkannt wird.

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Häufig wird auch der demografische Wandel als Horror inszeniert, der dazu führen wird, dass Deutschland ausstirbt. Das wäre global gesehen ja gar nicht mal so schlimm. In Ihrem Buch schreiben sie, dass es dem Klimaschutz viel zuträglicher sei, kein Kind in einer Industrienation zu bekommen, da hier mehr konsumiert wird. Allerdings schauen die meisten immer nur nach Afrika und die angeblich wahnsinnig gebärfreudigen Frauen dort. Ich finde es großartig, dass Sie eine andere Perspektive anbieten!
Ich habe Afrikawissenschaften studiert und sehe deswegen Entwicklungspolitik generell sehr kritisch. Klar verschlechtert sich die Situation einer armen Familie im Sudan mit jedem Kind, aber das ist kein globales Problem, da dort nicht so viel konsumiert wird, also der Einfluss auf Umweltverschmutzung sich kaum vergrößert. Hingegen ist jede Geburt in Europa ein Problem für unsere Umweltbilanz. Und dieser unbedingte Kinderwunsch bei afrikanischen Frauen ist auch ein Mythos. Ich habe viel zu Abtreibungen geforscht und viele Frauen in Afrika sind natürlich auch froh, wenn sie Zugang zu Verhütungsmitteln oder eben einer Abtreibungsklinik haben. Frauen, die ein bisschen mehr Optionen in ihrem Leben haben, sagen sofort, dass sie weniger Kinder bekommen wollen. Weil dadurch ihre eigenen Handlungsoptionen größer werden.

Was hat Sie am meisten überrascht bei der Recherche zu Ihrem Buch?
Mir haben fast alle Gesprächspartnerinnen gesagt: Das Schlimmste sei für sie gewesen, mit einer unglücklichen Mutter konfrontiert gewesen zu sein. Das trifft übrigens auch auf ostdeutsche Frauen zu, die ja gerade in der Familie nicht unbedingt gleichberechtigter gelebt haben, sondern einfach schon früher diese Doppelbelastung hatten. Diesen großen Leidensdruck habe ich nicht erwartet. Ich musste mich nie so sehr an meinen Eltern abarbeiten. Interessant fand ich zu sehen, dass nicht alles Handeln denselben Effekt hat, wenn die Ausgangsvoraussetzungen gleich sind. Man kann nicht sagen, dass eine Frau keine Kinder möchte, nur weil ihre Kindheit nicht so gut war. Genau das kann eben auch dazu führen, dass sie jetzt gerade Kinder möchte, um es besser zu machen. So ist es auch umgekehrt: Ich habe eine sehr schöne Kindheit gehabt und das möchte ich meinen Eltern auch zeigen, aber ich möchte eben trotzdem selbst keine Kinder haben.

Können Sie sagen, warum?
Ich habe von meinen Eltern so viel Stabilität bekommen, dass ich auch Unsicherheiten aushalten kann und einfach nicht diese Sehnsucht nach einem Fixpunkt außerhalb mir selbst habe. Natürlich habe ich trotzdem eine Sehnsucht nach Liebe und Partnerschaft, so ist das nicht. Ein Kind muss aber nicht unbedingt die Krönung einer Beziehung sein – sie kann durch die Arbeitsbelastung eigentlich noch eher in die Brüche gehen, das zeigen einige Studien. Da muss man einfach ehrlich zu sich sein. Das Private ist politisch und das fängt beim Kind an, weil das Kind politisiert wird. Das hat eine Auswirkung auf dein Liebesverhältnis mit einem Mann oder einer Frau. Sich das klar zu machen, kann eine große Erleichterung sein.