Von Osia Katsidou

Im Jahr 2012 war Mona Eltahawy Teil einer kontroversen Debatte. Die ägyptisch-amerikanische Autorin und Frauenrechtlerin hatte für das Poltik-Magazin „Foreign Policy“ ein Essay mit dem Titel „Warum hassen sie uns?” geschrieben. Darin behauptete Eltahawy, dass die arabische Welt einen Krieg gegen ihre Frauen führe. Sie verwies auf unterschiedliche Phänomene wie die Genitalverstümmelung, Kinderheirat und das Wahlverbot von Frauen.

Ihre Kritiker_innen hielten Eltahawy vor, sie würde generalisieren, indem sie auf die gesamte arabische Region verwies. Später entstand das gleichnamige Buch. Jetzt sind ihre Thesen auch in einem Beitrag auf der TEDxEuston Konferenz in London zu sehen. Ein Gespräch über Intersektionalität, die Legalisierung von Prostitution und den IS.

© Dirk Eusterbrock
Fällt mit knallharten Inhalten und leuchtend roten Haaren auf: Mona Eltahawy. © Dirk Eusterbrock

Sie haben im Frühjahr 2015 Ihr erstes Buch veröffentlicht, das eine Erweiterung Ihres viel diskutierten Artikels in FP ist. Was wollen Sie Ihren Leser_innen mitgeben?
Ich stelle in meinem Buch die These auf, dass eine politische Revolution im Nahen Osten und Nordafrika stattfand, die eine Unterdrückung des Staates zur Grundlage hatte. Sie hatte allerdings eine Unterdrückung von Frauen zur Folge und zwar auf dreifache Art. Staat, Heim und Straße unterdrücken Frauen. Damit die politische Revolution erfolgreich ist, brauchen wir in diesen Regionen der Welt eine soziale und sexuelle Revolution.

Sie sind Vertreterin des Verhüllungsverbots. Kritiker_innen sagen, man würde damit die Freiheit einschränken, denn einige Frauen verhüllen sich aus eigener Instanz. Lassen Sie uns über etwas Ähnliches sprechen: die Legalisierung von Prostitution. Sie wurde nach dem Appell von Amnesty International viel diskutiert. Es gibt Frauen, die eine bewusste Entscheidung treffen und mit Sex ihr Geld verdienen. Kritiker_innen sagen, Sexarbeit objektifiziere Frauen, weil sie sie zur Ware mache. Was meinen Sie?
Ich habe feministische Freunde, die zwei sehr unterschiedliche Ansichten vertreten. Einige sind absolute Gegner von Sexarbeit, andere wiederum vertreten das Wahlrecht jeder Frau, ihre eigene Form der Arbeit zu wählen. Ich selbst habe keine Recherche zu dem Thema betrieben, um eine glaubwürdige Position beziehen zu können. Aber ich denke, Frauen, die in der Industrie arbeiten oder Opfer ihrer sind, sollten gehört werden. Sie sollten das Recht haben, für sich zu sprechen.

Sollten Frauen, die sich verhüllen, nicht das gleiche Recht haben?
Ich bin froh, dass Sie mich das fragen. Meine Ansicht zur Verhüllung ist anders, weil ich Muslimin bin und selbst neun Jahre lang ein Kopftuch trug. Ich habe das Thema gelebt und recherchiert. Ich war ganz unmittelbar von einer Kultur betroffen, die Frauen eine Scham auferlegt und sie zur „Sittsamkeit“ zwingt. Sie liegt bloß auf den Schultern von Mädchen, nie auf den Schultern von Männern oder Jungs.

In der westlichen Welt hat eine sexuelle Revolution bereits stattgefunden. In unserem Teil der Welt sind überproportional viele Frauen im Bereich der Sexarbeit vertreten. Ein umgekehrtes Missverhältnis von Frauen zu Männern findet in der Wissenschaft, der Politik, der Wirtschaft, etc. statt. Hat die sexuelle Befreiung wirklich die Gleichstellung bewirkt, die wir brauchen?
Dieses Verhältnis sollte uns zu denken geben, aber ich glaube dennoch, dass die sexuelle Befreiung absolut essenziell ist. Nur, weil sie im westlichen Kontext vermasselt wurde, sollte sie anderen Ländern nicht abgesprochen werden. Frauen und Männer haben sich sexuell unterschiedlich entwickelt. Männer dürfen problemlos die Früchte der sexuellen Revolution genießen – und haben die nötige Entwicklung aber für [sam id=“5″ codes=“true“]sich selbst nicht gemacht. Irgendwann haben Frauen begriffen, dass auch sie Sex haben können, mit wem-auch-immer sie möchten. Aber viele Männer sind demgegenüber rückständig und gestehen es Frauen nicht zu. Ein Rückschritt bei der sexuellen Befreiung ist fatal. Das passiert nämlich gerade in den USA. Ich nenne die Republikanische Partei die Christenbrüderschaft. Sie versuchen, die sexuelle Revolution zu zerstören. Sie sind wie die Muslimbrüderschaft, nur viel, viel mächtiger. Aktuell wird beim Wahlkampf in den USA versucht, Frauen zu erzählen, was sie mit ihren Körpern machen können und was nicht. Diese giftige Mischung zwischen Religion und Kultur, von der ich in meinem Buch schreiben, ist nicht bloß ein Phänomen der arabischen Welt.

Glauben Sie, Feminismus ist anders, wenn man ihn aus einem westlichen statt einem arabischen Blickwinkel betrachtet?
Meine Definition von Feminismus ist die Gleichheit und Freiheit von Frauen, das hat keine Blickwinkel. Ich wurde beispielsweise sehr von Schwarzen Feministinnen beeinflusst. Wir nicht-weißen Frauen sind nämlich mit einem besonderen Phänomen konfrontiert: der Intersektionalität. Wir bekämpfen nicht nur Frauenfeindlichkeit, sondern auch Rassismus. Für sehr lange Zeit wurde Schwarzen und anderen Frauen der Mund verboten, wenn sie über Misogynie sprachen. Die Intersektionalität bevorzugt den Kampf gegen Rassismus, sodass der Kampf gegen Sexismus immer in den Hintergrund treten muss. In meiner Region der Welt geht der Kampf gegen Islamophobie. Ich möche diese Dinge bekämpfen, ich akzeptiere aber nicht, dass der Kampf gegen Misogynie sich zurückhalten soll.

© Piper VerlagMona Eltahawy
„Warum hasst ihr uns so? Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt“ Übersetzung Ursula Held. 208 S., Piper, 16,99 Euro.

Ich habe kürzlich einen Artikel über jesidische Soldatinnen gelesen, die den IS bekämpfen. Viele dieser Frauen wurden vergewaltigt oder haben ihre Familien im Krieg verloren. Wenn eine Frau einen IS-Kämpfer tötet, ist es halal und bedeutet, er kommt nicht ins Paradies. Ich halte das für den ultimativen feministischen Akt.
Ich stimme Ihnen zu und bin begeistert. Zur Hölle mit eurem Paradies! Ich bin keine Befürworterin des Militarismus, aber ich bin große Anhängerin der Selbstverteidigung. Diese Frauen bedeuten für mich die Revolution. So schrecklich ihre Erfahrungen sind, bezeichnen sie in ihrem Kontext einen Schimmer von Hoffnung.