Von Alexandra Brechlin

2014 wurde die Kultanimeserie „Sailor Moon“ unter dem Zusatz „Crystal“ neu aufgelegt. Die Serie schuf ein völlig neues Mädchenbild in der Geschichte des Cartoons und ist damit ikonisch geworden – dank Kitsch und fast schon übertriebener Mädchenhaftigkeit.

© Naoko Takeuchi/PNP, Toei Animation
© Naoko Takeuchi/PNP, Toei Animation

„Ich bin Sailor Moon und im Namen des Mondes werde ich dich bestrafen!“ Ich bin mir sicher, jede*r, di*er seine*ihre Kindheit in den 1990er-Jahren verbrachte, erinnert sich an die Kampfansage des Manga-Mädchens mit den großen Kulleraugen und der ulkigen Knubbel-Frisur. In ihrem Heimatland Japan gehört Sailor Moon schon fast zu einem Kulturgut und ist auch aus der deutschsprachigen Poplandschaft nicht mehr wegzudenken. Aber was macht diese Serie eigentlich so faszinierend, dass sie ganze Generationen junger Mädchen prägen konnte? 

Vielleicht, weil Sailor Moon die erste Superheldin in der Geschichte des Cartoons ist, mit der man sich tatsächlich identifizieren konnte.

Das mag hochgegriffen klingen. Die Liste an Superheldinnen vor und auch nach ihr ist schließlich unendlich lang: Storm, Rogue, Kitty Pryde, Spider Girl, She-Hulk, Wonder Woman, Catwoman, Supergirl, Batgirl – das lässt sich beliebig fortsetzen.
 Wonder Woman, die wohl erfolgreichste Superheldin aller Zeiten, unterwirft ihre Feinde mit einem „Lasso der Wahrheit“. Jedem Feind und vor allem Mann überlegen, fängt sie damit im knappen Bodysuit selbst ihren Schwarm Steve Trevor ein – ganz autoritär und in bester Bondage-Manier, versteht sich. Batwoman trägt einen magischen Lippenstift, der als Pistole fungiert, in einer praktischen Allzweckhandtasche und in der Neuauflage des Kinofilms von Catwoman fällt der Superheldin, nachdem sie ihre neuen Fähigkeiten entdeckt, erst mal nichts anderes ein, als gegen einen Konzern zu kämpfen, der zerstörerische Schönheitsmittel vertreibt.

Was ich mich dabei bereits als Kind und auch heute gefragt habe: Wer sind diese übermenschlichen, unabhängigen und wahnsinnig gut aussehenden Frauen eigentlich? Wo wohnen sie? Haben sie eine romantische Beziehung? Oder gleich mehrere? Was ist ihr Ziel? Warum und wofür kämpfen sie? Für Frauenrechte? Gegen Männer?  Für die USA?  Diese Superheldinnen sind starke, unbesiegbare Frauen ohne Schwächen, die oft (sexualisierte) Gewalt ausüben oder erleben mussten. Ob es Spider Girl ist, die als Kind gekidnappt wurde oder Wonder Woman, die am Ende eigentlich nur erschaffen wurde, um im Kampf gegen die Nazis zu helfen, oder Batgirl, die von ihrem eigenen Vater zu einer Mörderin ausgebildet wurde. Besonders in den 1980er- und 1990er-Jahren wurden Superheldinnen in Cartoons übertrieben unabhängig und unmenschlich stark dargestellt, als müssten sie so ihre Macht und ihre Gleichstellung in der Gesellschaft durch überzeichnete Attribute rechtfertigen. Ein Bild, das mit dem radikalen Gleichheitsfeminismus zu dieser Zeit einherging.

© Naoko Takeuchi/PNP, Toei Animation
© Naoko Takeuchi/PNP, Toei Animation

Und dann kommt Sailor Moon: Die Protagonistin Usagi ist das stilisierte Abbild eines Mädchens, allerdings mit westlichen Attributen – weshalb sie wohl nicht nur in Japan so punktete. Selbstverständlich ist sie blond und blauäugig, sie liebt Süßigkeiten, mag rosa, findet sich zu dick, schwärmt viel von Jungs, weint ständig und ist obendrein auch noch unglaublich tollpatschig. Und genau da liegt der Punkt, den Superheldinnen vor ihr verpasst haben. Hier ist stereotype Mädchenhaftigkeit kein Ausschluss, um es als Kämpferin für Liebe und Gerechtigkeit faustdick hinter den Ohren zu haben. Anders als Wonderwoman oder Catwoman muss Usagi keine dieser toughen, unabhängigen Frauen sein und ist trotzdem – oder gerade deswegen – eine Heldin.

In Verlauf der Serie begegnet den Zuschauer*innen eine Vielfalt an komplexen weiblichen Charakteren, die lange Entwicklungen vollziehen. Von der schüchternen Musterschülerin über die Karrierefrau bis hin zur leidenschaftlichen Köchin, der Femme Fatale und der burschikosen Einzelgängerin, besitzen alle einen individuellen Charakter und Ziel. Ob erfolgreiche Ärztin oder eben auch Mutter und Ehefrau, es gibt kein vorgefertigtes und eindimensionales Konzept der Selbstverwirklichung. 

„Sailor Moon“ handelt von einer Mädchen-Clique, die sich mit kurzen Röcken und High Heels in Schlachten stürzt und dabei bewusst Waffen benutzt, die aus funkelnden Tiaras bestehen. Aber das Aussehen und der individuelle Charakter stehen hier nicht im Gegensatz zum Auftrag. Die knappe, durchaus sexuell aufgeladene Kleidung und ihre Mädchenhaftigkeit sind hier ein Symbol für ihre  Femininität, die eben nicht vermieden, sondern ausgelebt wird.

© Naoko Takeuchi/PNP, Toei Animation
© Naoko Takeuchi/PNP, Toei Animation

Auch in puncto Sexualität ist die Serie ausgesprochen fortschrittlich. Queeres Begehren wird ebenso wenig hinterfragt wie Transidentität. Die Sailor-Kriegerinnen Neptun und Uranus performen mehr als nur platonisch, die Sailor Starlights – im Alltag Männer – werden nach ihrer Verwandlung ganz selbstverständlich zu Kriegerinnen und der Umgang damit ist dabei weder sensationell noch exotisierend. Akzeptanz und gegenseitige Wertschätzung sind hier selbstverständlich. Du kannst tomboy-haft oder hyperfeminin sein: Du bist du und kannst so alles erreichen. Nicht maskuline Eigenschaften wie Härte und Rationalität, sondern Authentizität und Gender-Freiheit bieten Potenzial, die Welt zu retten. Superheldinnen müssen nicht extrem unabhängig und einsam sein – noch müssen sie sich aus den vermeintlichen Fesseln des Patriarchats befreien, indem sie weiblich assoziierte Eigenschaften um jeden Preis vermeiden. Damit lehnten sie stark an den Strategien der Riot Grrrls an, die ziemlich zeitgleich Mädchenhaftigkeit in einer androzentrischer Subkultur zelebrierten.

Autonomer und stärker als die Sailor-Kriegerinnen geht es kaum. Und das macht sie nicht nur zu realitätsnahen Vorbildern, sondern zu einigen der ersten Superheldinnen, mit denen sich nicht nur Mädchen wirklich identifizieren konnten.