Von Brigitte Theißl

Enge Höschen, orange Stutzen, Stirnband, Hosenträger – so sieht das Bühnen-Outfit aus, in dem die Fearleaders in Sporthallen auftreten oder sich für ein Kalender-Shooting in Pose werfen. Findet ein Bout (= Match) „ihres” Teams Vienna Roller Derby statt, dürfen auch die klassischen Pom-pons nicht fehlen. Rund fünf Minuten haben die Hobby-Cheerleader dann Zeit, um in der Halle für Stimmung zu sorgen und das Publikum mit einer Mischung aus Tanzchoreografien, Akrobatik und popkulturellen Zitaten zu unterhalten.

Foto: Franz Reiterer
Feuern das Wiener Roller-Derby-Team an: die Fearleader. Foto: Franz Reiterer

Die persönlichen Kontakte zu den Roller-Derby-Sportlerinnen vereinten die Gründungsmitglieder der Fearleaders, die 2012 zusammenfanden. „Wir waren zu Beginn einfach Zuschauer und haben überlegt, wie wir das Team unterstützen könnten, so ist dann die Idee der Cheerleading-Truppe entstanden“, erzählt Matthias Gassner, Fearleader der ersten Stunde. Ihre ersten Fans waren die Team-Mitglieder des Vienna Roller Derby selbst: „Wir lieben unsere Fearleader! Uns gibt dieser energetische Haufen mit seinen immer wieder neuen, kreativen und lustigen Performances bei jedem Spiel einen großen Motivationsschub. Wir schätzen ihren unterhaltsamen und auch kritischen Umgang mit Männlichkeitsbildern sehr und finden ihre Show ist eine ideale Pausenunterhaltung bei unseren Spielen“, sagt WarGina.

Neuland
Auch wenn den allesamt berufstätigen Jungs nur wenig Zeit für regelmäßige Treffen bleiben, sorgten die unterschiedlichen Talente und Ressourcen von Beginn an für eine professionelle Herangehensweise. Während die Boden- und Geräteturner bei den Shows mit Flickflacks und Rückwärtssaltos beeindrucken, kümmert sich ein Grafiker um Logo und Webauftritt, andere feilen am künstlerischen Konzept. Typen in engen Outfits, die toughe Frauen in einem Vollkontakt-Sport anfeuern – das stellt gewohnte Rezeptionsmuster erst mal auf den Kopf. Was zu Beginn bei den Treffen der Fearleaders nur am Rande besprochen wurde, entwickelte sich schnell zu einem zentralen Thema: „Wir haben bald bemerkt, dass mit unseren Performances noch viel mehr transportiert wird, als wir ursprünglich bedacht hatten, und haben dann begonnen, uns intensiv mit Geschlechterrollen auseinanderzusetzen“, erzählt Andreas Fleck, der sich selbst als Rampensau unter den Fearleaders bezeichnet.

Als Medien sich vermehrt für die Cheerleading-Jungs zu interessieren begannen, wurde immer wieder die Frage gestellt: „Wie geht ihr mit dem Thema Homosexualität um?“ „Männer haben ja schnell ein Problem damit, sich nahe zu kommen. Nachdem viele von uns geübte Turner sind, war es für uns nichts Besonderes, Körperkontakt zu haben, sich bei einer Akrobatikübung anzufassen“, sagt Matthias. Dass es für andere so gar nicht gewöhnlich ist, machte ein Vorfall beim Videodreh auf dem Wienerberg deutlich. Ein Fischer, der sich durch das Treiben der Fearleaders gestört fühlte, rief sogleich die Polizei – die auch tatsächlich ausrückte. Der Hilferuf des Fischers: Hier werde ein Schwulen-Porno gedreht.

Foto: Franz Reiterer
Keine Angst vor vermeintlichen Maskulinitätsverlust durch homoerotische Performances. Foto: Franz Reiterer

Kunst-Projekt
Bei all dem Trubel rund um Männer-Cheerleader stellte sich beim Roller-Derby-Team schließlich die Frage, ob ihnen nicht etwa die Show gestohlen werde. „Es kann auch etwas frustrierend sein, wenn ihnen deswegen, weil es nun mal nicht allzu viele cheerleadende, kritisch-reflektierte Männer gibt, bei Zeiten mehr Aufmerksamkeit als Roller Derby und den Skaterinnen zukommt“, kritisiert WarGina. Die Fearleader selbst haben ihre Lehren gezogen: „Wir haben daraus gelernt, immer den Sport mitzukommunizieren, wenn wir Aufmerksamkeit bekommen. Bei einem Roller Derby Match dabei zu sein ist ein echtes Erlebnis, das möchten wir auch transportieren“, sagt Matthias. Auch wenn die Fearleader nach wie vor eng mit dem Vienna Roller Derby verbunden sind, geht ihr Treiben mittlerweile weit über die Halbzeit-Shows hinaus. Immer wieder finden Gastauftritte bei kulturellen Events statt, im kommenden Jahr werden wir sie zu einem Performance-Festival nach Lille reisen. Überhaupt passen die Fearleader besser in die Schublade künstlerische Performance als in die Sport-Ecke. In den USA wird Cheerleading etwa abseits der Halbzeit-Shows als professioneller Wettkampf-Sport – überwiegend von Frauen – betrieben, „mit diesen Profis können und wollen wir uns gar nicht messen“, sagt Andreas. Ein Fearleader-Auftritt beinhalte vielmehr das Moment des Scheiterns, „das Perfektionistische würde gar nicht zu uns passen“.

Im Fearelli-Kalender werden klassische Märchen neu interpretiert © Jakob Schrîdel
Im Fearelli-Kalender werden klassische Märchen neu interpretiert © Jakob Schrîdel

Den Fearelli-Kalender 2016 könnt ihr auf der Facebook-Seite der Fearleaders bestellen.

Pin-up Boys
Um die Reisekosten bei Auswärts-Matches abzudecken, können die Cheerleader mittlerweile auf Einnahmen aus dem Kalender-Verkauf zurückgreifen. Vor kurzem ist der „Fearelli“ 2016 erschienen, bereits zum dritten Mal versuchten sich die Fearleader als Pin-ups und nahmen diesmal das Thema Märchen zum Anlass für ein Spiel mit den Geschlechterrollen. Tausend Stück wurden gedruckt und in zahlreiche Länder verschickt – die Fan-Base der Cheerleader wächst. Mit „schönen Frauen, die in einer Schockstarre verharren und darauf warten, dass der Prinz kommt und sie erlöst“ hat man sich in den „Fearytales“ auseinandergesetzt, Andreas posiert im Jänner als Prinz(essin) auf der Erbse, Matthias lässt sich im Juli von einem Kollegen aus einem hunderjährigen Schlaf wachküssen. Klischees aufzubrechen, zu unterlaufen und dennoch „weibliche“ Posen nicht ins Lächerliche zu ziehen ist eine schwierige Aufgabe, über die die Fearleader regelmäßig grübeln. „Wir spielen als Männer mit weiblichen Posen, aber darauf soll es sich nicht beschränken, wir möchten eigentlich Bilder finden, die man nicht mehr auf ein Geschlecht begrenzen kann“, sagt Andreas, der gedanklich bereits am Konzept des nächsten Kalenders feilt. Zu ernst will er dann aber doch nicht werden. „Alle unsere Ideen sind auch Spaß-Ideen. Wenn das für uns kein Spaß wäre, würden wir es gar nicht machen.“ Große Ambitionen haben die Fearleaders Vienna aber dennoch: In die Ellen-Show eingeladen zu werden – das ist ihr nächstes Ziel.