Von Lea Fauth

Im Iran ist Singen für Frauen verboten. Die Komponistin Sara Najafi hat es trotzdem geschafft, ein Konzert mit Solistinnen in Teheran zu organisieren – ein langwieriger Kampf, der in dem kürzlich erschienen Film „No Land’s Song“ dokumentiert wird. Nun tourt Najafi mit ihren Musikern durch Europa. Ein Interview.

Komponistin Sara Najafi mit rotem Kopftuch. © Basis Film
Sara Najafi mit rotem Kopftuch. © Basis Film

Frau Najafi, welche Bedeutung hat die weibliche Stimme für Sie?
Im Iran ist das wichtigste an der weiblichen Stimme, dass sie ein Symbol der Frau ist, das man dort ausschalten will. Man will nicht, dass Frauen sprechen, weil sie so stark sind. Man will die Frauenstimme mit einem Hijab bedecken.

Sie haben in Teheran nicht nur etwas Verbotenes gemacht – ein Konzert mit Frauen – sondern auch eine kulturelle Brücke gebaut, indem Sie Sängerinnen und Musiker aus Frankreich und Tunesien mit eingebunden haben. Wie hat dieser Austausch funktioniert?
Es war einfach perfekt. Wir haben sofort zu einem Dialog gefunden. Die Liedtexte auf iranisch haben wir den Sängerinnen übersetzt: Sie wussten also, wovon sie sangen. Die Idee war, ihnen zeigen, was im Iran passiert. Ich wollte sie dazu bringen, sich umzusehen, zu sehen, was in anderen Ländern passiert. Sie nahmen das an, und sie haben es verstanden. Anfangs fragten wir uns, ob wir uns gegenseitig verstehen könnten: Die Europäer kennen keinen Krieg und keine Bomben. Aber das ging. Und leider kennen sie es ja jetzt doch. Im November passierte das Attentat in Paris, und gerade gab es in Brüssel schon wieder Anschläge.

Wie kamen Sie dazu, gegen das Gesetz mit Solistinnen aufzutreten?
Als ich mich der Grünen Bewegung (Iranische Protestbewegung von 2009, Anm. d. Red.) anschloss, habe ich gesehen, dass ungefähr 70 Prozent der Menschen auf den Demonstrationen Frauen waren. Das war ein Zeichen für mich: Ich musste etwas tun, und als Musikerin wollte ich etwas für Frauen tun. Aber Frauen dürfen ja nicht singen! Und so wurde mir klar, dass ich genau das bekämpfen wollte. Im Iran will man die Stimme der Frauen ersticken – ich aber möchte sie aufdrehen und hörbar machen. Und dieses Anliegen habe ich in der Grünen Bewegung wiedergefunden.

Im Film Ihres Bruders bezeichnen Sie Musik als Ihre einzige Waffe. Ist Musik politisch?Kann man damit eine Revolution machen?
Ja, definitiv. Ich denke da an Beethoven: Er schrieb die sechste Symphonie für Napoleon. Als ihm klar wurde, dass Napoleon seinem Land Schaden zufügte, hat er diese Widmung wieder zurückgenommen. Das war eine starke Geste, die zeigt, dass Musik ein revolutionärer Akt sein kann. Vor allem gesungene Musik hat eine revolutionäre Kraft. Im Iran ist Kunst allgemein etwas sehr Revolutionäres, weil man für alles eine Erlaubnis der Regierung braucht. Und dadurch wird Kunst sofort etwas Politisches und kann ein revolutionärer Akt sein. Ich persönlich habe lange mit den Behörden kämpfen müssen.

In westlichen Ländern – auch hier in Deutschland – hat man von der Rohani-Regierung ein positiveres Bild als der von Ahmadinedschad. Wie sehen Sie das? Ändert sich z.B. für Frauen etwas?
Das hoffe ich. Im Parlament sitzen jetzt 14 Frauen – das ist das erste Mal, und es ist ein gutes Zeichen. Ich hoffe, dass die Frauen im Parlament – und auch Rohani selbst – etwas für die Kunst tun können. Und ich bin froh, dass es den Leuten besser geht als vorher. Acht Jahre lang ging es mit Ahmadinedschad immer nur bergab. Er hat alles zerstört, nicht nur die Kunst. Alles. In der Musik hat sich bisher allerdings nichts getan. Man weiß nie, woran man ist. Zum Beispiel gab es vor ein paar Monaten eine Klavierspielerin, die zusammen mit ihrem Mann aufgetreten ist. Das Konzert wurde mittendrin abgebrochen, und sie musste die Bühne verlassen. Nur sie, die Frau! Verändert hat sich bisher also überhaupt nichts. Aber ich habe Hoffnung.

518716.jpg-c_215_290_x-f_jpg-q_x-xxyxxNo Land’s Song
Regie: Ayat Najafi
u.a. mit: Imed Alibi, Elise Caron, Jeanne Cherhal
Basis Film
91 Min.

Sie touren zur Zeit durch Europa, um das Konzert zu wiederholen. Was erwartet Sie, wenn Sie in den Iran zurückkehren, nachdem Sie etwas Verbotenes getan haben? Haben Sie Angst?
Oh nein, natürlich habe ich keine Angst! Sonst hätte ich dieses Projekt ja einfach sein lassen können. Ich werde bald in den Iran zurückkehren, und dann kann ich Ihnen erzählen, wie das ist. Aber machen Sie sich keine Sorgen um mich. Wenn die mir dort Fragen stellen sollten, dann stelle ich denen noch viel mehr Fragen.

Woher kommt Ihr Kampfgeist?
Ich habe eine großartige Familie, die intellektuell und liberal ist. Meine Familie hat mich immer in allem unterstützt. Zum Beispiel wollte ich an der Universität die Aufnahmeprüfung für den Master in Komposition machen. Die Universität sagte damals: Wir nehmen keine Frauen in Komposition. Aber mein Vater sagte immer: Du musst es versuchen.

Bei meinem jetzigen Projekt war das ähnlich: Immer, wenn ich zum Kulturministerium musste, begleitete meine Mutter mich und wartete im Auto. Ich hatte verbotenerweise ein Aufnahmegerät unter dem Hijab versteckt. Sie ermutigte mich: „Keine Angst, wenn etwas passiert, bin ich hier.“

Wissen Sie, im Iran ist alles so anders. Wir haben zwei Leben: ein inneres und ein äußerliches Leben. Zu Hause kann man Konzerte machen, mit Frauen, und mit wem man will. Aber das reicht mir nicht. Meiner Meinung nach brauchen Musiker eine Bühne und ein Publikum.

Im Film Ihres Bruders – und auch jetzt – tragen Sie auffällig häufig die Farbe rot. Hat diese Farbe eine besondere Bedeutung für Sie?
Vor dem Film waren Rot und Rosa meine Lieblingsfarben. Während des Films hat die Sängerin Sayeh* etwas sehr Schönes über diese Farben gesagt: Alle hier wollen Frauen und Sängerinnen ignorieren. Aber kann man dieses Rot ignorieren, das sich von den anderen Farben so abhebt? Und seitdem ist Rot für mich ein Symbol geworden – das Symbol für singende Frauen. Denn das Rot sticht hervor. Es erinnert mich daran, dass Frauen sehr wohl auf der Bühne singen können – das darf ich nicht vergessen. Wenn ich diese Farbe sehe, höre ich immer Sayehs Worte in meinem Kopf.