Von Azadê Peşmen

Nach #aufschrei lies der nächste Hashtag nicht all zulange auf sich warten: #imzugpassiert. Frauen berichten über Sexismus, den sie in der Bahn, im Bus und im Zug erleben. Viele Texte dazu beginnen mit sehr detaillierten Beschreibungen, wie genau das aussieht. Ich werde das hier bewusst nicht machen, denn diejenigen, die das erlebt haben beziehungsweise jeden Tag erleben, wissen, wie das ist. Denjenigen, bei denen es nicht zum Alltags-Repertoire gehört, denen traue ich zu, die Suchmaschine ihres Vertrauens zu bedienen oder einfach ein Buch dazu in die Hand zu nehmen.

Die Erfahrungen mit diskriminierenden Übergriffen sind so verschieden wie die Umgangsstrategien der Betroffenen © Tine Fetz
Die Erfahrungen mit diskriminierenden Übergriffen sind so verschieden wie die Umgangsstrategien der Betroffenen © Tine Fetz

Um ehrlich zu sein: Ich habe die ganze Debatte drumherum ein bisschen ignoriert, es hat auch zu Beginn ganz gut geklappt, aber irgendwann ging das nicht mehr. Dann habe ich doch die Tweets gelesen und die eindrücklichen Beschreibungen, die ich eigentlich nicht mehr lesen will.

Was mich dabei ja sehr wundert, ist, warum ein aufgeklärtes, humanistisches und gleichberechtigtes Land wie dieses hier so eine Debatte braucht. Ich dachte wirklich, vor allem nach den „feministischen“ Auswüchsen rund um den Kölner Hauptbahnhof, dass jetzt mal langsam gut wäre, denn so etwas passiert hier nicht. Frauen werden in diesem Land nicht belästigt. Punkt, aus, Ende im Gelände.

Was mich allerdings überhaupt nicht überrascht hat: Die Art und Weise, wie manche über die Reaktion der Männer geschrieben und gesprochen haben. Wie schockiert einige waren, dass auf die sexistischen Erlebnisse nur noch mehr Sexismus gezwitschert wurde. Mal ehrlich: Was sonst hätte eintreten sollen? Das Männer #imzugpassiert-Tweets lesen, den Kopf nach rechts neigen und sagen: Wow! Danke dir für die Erleuchtung!

Vielleicht bin ich komplett abgestumpft, aber ich frage mich ein wenig (Achtung, Provokation): Was bringt das? Egal ob #aufschrei, #schauhin* oder #imzugpassiert: Immer wenn Menschen ihre Erfahrungen teilen, die irgendetwas mit Rassismus und/oder Sexismus zu tun haben, passiert das gleiche: People with too much time on their hands hämmern in die Tasten, als gäbe es keinen Morgen. Dann wird (bestenfalls) kurz darüber geredet, wo die Grenzen liegen, von dem, was geht und dem was nicht geht und dann machen (die meisten) weiter wie bisher. Die Erlebnisse werden individualisiert und die strukturellen Rahmenbedingungen bleiben unangetastet: Die Tatsache, dass Frauen bei gleicher Qualifikation immer noch weniger verdienen oder das sie selten in hohen Positionen landen- um nur zwei von vielen Beispielen zu nennen. Das wird nicht angesprochen.

Nach maximal drei Tage Debatten-Aufflackern lehnen sich diejenigen, die all das, was die 140 Zeichen erzählen, nicht erleben, meist weiter zurück und entspannen in ihrem Sessel, während die anderen damit beschäftigt sind Twitteraccounts mit übergriffigen Dauerpostings zu blockieren. Gibt es da eine Anschlussfähigkeit, die ich einfach vor lauter Hashtags nicht sehe? Ist es empowernd, das was einem angetan wurde, aufzuschreiben und sich damit nochmal potenziell zur Zielscheibe von Beschimpfung und victim blaming zu machen?

 

*Der Transparenz halber: Ich habe selber bei #schauhin mitgetweetet. Daraufhin wurde mein Twitteraccount dann auch erstmal gelöscht. Wegen „Verstoß gegen Community-Standards“. Weißte Bescheid. Mittlerweile habe ich wieder einen Account, aber ich mache selten bei Hashtag-Kampagnen mit.