Von Anna Mayrhauser

Grada Kilomba, Autorin, Performance-Künstlerin und Theoretikerin forscht und arbeitet zu Poskolonialismus, Rassismus, Gender, Trauma und Erinnerung. Sie wuchs in Lissabon, Portugal auf und und lebt seit einigen Jahren in Berlin, wo sie u.a. als Kuratorin am Maxim-Gorki-Theater arbeitet. Ich treffe Grada Kilomba, nachdem sie bei einem Panel auf dem taz.lab ihre Arbeit präsentierte und sie auf einem Podium zum Thema „We don’t need you. Why Poeple fo Color prefere to fight by themselves rathern than beeing patronzid“ diskutierte.

© Grada Kilomba
Becoming the Discriber © Grada Kilomba

Missy: Grada Kilomba, eben haben Sie gesagt, dass Sie keine Q&A-Runden nach Podiumsdiskussionen mögen. Warum?
Grada Kilomba: Ich finde sie unnötig! (lacht) Meistens bespricht man nochmal das gleiche, wie 40 Minuten zuvor. Mir ist es wichtig, neue Formate und Formen der Kommunikation zu finden. Heute betreten viele Menschen die Bühnen, die das zuvor nicht getan haben – Women of Color, Schwarze Frauen. Menschen, die oft nicht sichtbar sind und nicht gehört werden, kommen zu Wort. Da ist es wichtig, zuhören zu lernen.

Wie könnten diese neuen Formate aussehen?
Die meisten Menschen sind an klassische Formate gewöhnt. Weiße Männer sprechen und widersprechen sich, und treten als Experten auf. Das ist eine alte, patriarchal und kolonial geprägte Form der Kommunikation und Wissensvermittlung. Und dafür interessiere ich mich nicht. Für mich ist es so viel wichtiger, emanzipatorische Räume zu erschaffen und alternativem Wissen zu zuhören, um die Konfigurationen von Macht und Wissen zu ändern. Und dann sollte man nach Hause gehen, und nachspüren, was dieses neue Wissen mit einem macht. Weiter darüber nachdenken, neue Musik, neue Bücher entdecken, auf die man aufmerksam gemacht wurde. Ich denke, das ist viel wichtiger, als sofort nach einem Panel alles in Frage zu stellen.

Wie könnte die Kommunikation zwischen Publikum und Panel dann aussehen?
Genau so! Das ist für mich bereits eine großartige neue Form der Kommunikation. Etwas anzusehen, das du noch nie angeschaut hast. Jemandem zuzuhören, dem du noch nie zugehörst hast. Zu lernen, Wissen und Perspektiven, die du nicht hast, Raum zu geben. Fähig zu sein, eine Stunde still zu sein. Anzuerkennen, dass man etwas nicht wusste. Weil es normalerweise nicht auf großen Bühnen verhandelt wird.

Ihre Lecture-Performance heißt „Decolonizing Knowledge“. Sie offenbaren dabei viel von sich, mischen Videos, Texte und Performance und akademische Theorie. Warum haben Sie diese Form für sich gewählt um über Rassismus und Kolonialismus zu sprechen?
Ich mag es, meine Texte, in eine Performance oder eine Video-Installation zu verwandeln. Ein Grund, warum ich das mache, ist, weil ich Emotionalität und Spiritualität in der Wissensproduktion sehr vermisse. Für mich ist das ein sehr wichtiger Teil von „Decolonizing Knowledge“. Ich will, dass akademisches Wissen und Diskurs subjektiver und persönlicher wird. Theorie hat mit Biographie zu tun und Biographie mit Theorie. Wissenschaft wird von einer Person produziert, von einer Person geschrieben. Diese Person hat eine Biographie, eine Fragestellung, Emotionen.
Klassische, koloniale Wissensproduktion macht es genau umgekehrt. Sie erschafft ein Objekt, hält Distanz. Sie sagt: „Nur meine Sicht zählt.“ Sie hat kein Bewusstsein für koloniale Strukturen und erschafft Objekte, klassifiziert sie, gibt Ihnen Namen, beobachtet und beschreibt das „Andere“. Als Wissenschafter*in, darfst du dich nie selbst positionieren, du bist ja objektiv. „Decolonizing Knowledge“ aber beginnt, wenn du Wissen aus deiner Biographie und deiner Geschichte heraus produzierst. Und reflektiert: Warum ist meine Fragestellung meine Fragestellung? Warum ist ein Thema wichtig für mich?

In Ihrem Projekt „WHILE I WRITE“ geben Sie viel von sich preis.
Ich schreibe in der ersten Person und entblöße mich in einer gewissen Weise. Es geht um die Angst zu Sprechen, zu Schreiben, Regie zu führen. Darum, in Kunst- und Wissenschaftsbetrieb als Woman of Color zu arbeiten und zu bestehen. Ich finde man muss etwas riskieren und sich selbst positionieren um neues und außergewöhnliches zu kreieren – persönlich werden, offen sein, die eigene Geschichte erzählen. Deswegen ist es mir wichtig mit Menschen zu arbeiten, die mir nahe stehen und denen ich vertraue. „WHILE I WRITE“ habe ich gemeinsam mit meinem Mann, Moses Leo, produziert, er hat die Musik dafür gemacht. Ich habe geschrieben und gefilmt.

„Kosmos²: Labor #7 Dance“, kuratiert und moderiert von Grada Kilomba, ist das nächste Mal am 5.5.2016, 20:30 im Maxim-Gorki-Theater zu sehen. Der Eintritt ist frei, die Veranstaltung findet in englischer Sprache statt. Diesesmal spricht Grada Kilomba mit iranischen Tänzer Kaveh Ghaemi und dem marokkanischen Tänzer Saïd Ait El Moumen.

Grade sind Sie mit Ihrer Reihe KOSMOS² im Studio Я des Maxim-Gorki-Theater zu sehen. Der Titel bezieht sich auf Alexander von Humboldt. Warum?
Das Maxim-Gorki-Theater ist umgeben von einer Geographie, die eine konstante Hommage an Humboldt bildet – und zwar völlig unkritisch. Da ist das neue Humboldt-Forum, die Humboldt-Uni… Hinter uns, vor uns, neben uns – überall Humboldt. Mit dem neuen Stadtschloss wird auf eine extrem problematische Art und Weise Vergangenheit wiederhergestellt. Darauf wollten wir im Maxim-Gorki-Theater reagieren. Wir können nicht für immer dieses alte koloniale Wissen reproduzieren, das auch Humboldt geprägt hat. Im “Kosmos2 Labor“ erschaffen wir einen hybriden Raum. Unterschiedliche Künstler*innen sprechen über ihre Arbeit. Alle Künstler*innen, die ich eingeladen habe, haben eine Flucht hinter sich, sie waren gezwungen ihre Heimat zu verlassen und Grenzen zu überqueren. Wir vergessen oft, das geflüchtete Menschen Biographien haben, Berufe, Kompetenzen. Ich möchte, dass sie als Expert*innen und Künstler*innen sichtbar werden. Und das führt mich zurück zu Ihrer ersten Frage. Wie können wir die Perspektive ändern? Wie können wir den Blick des anderen anerkennen?

Ohne Q&A auf jeden Fall.
Genau, Kosmos2 soll als ein performativer Raum verstanden werden, wo Kunst, Diskurs, Theorie und Politik auf der Bühne verschmelzen – was ich als “Performing Knowledge” bezeichne. Die Künstler*innen zeigen ihre Arbeit und zusammen führen wir intensive und transformative Gespräche über Wissensproduktion. Wir sprechen über ihre Kunst, ihre Arbeitsbedingungen – etwa darüber, wie sie neue Formen für ihre Kunst finden mussten, angesichts von Unterdrückung. Ich habe dabei viel gelernt. Es ist immer voll, wir müssen die Türen aufmachen, damit alle Interessierten Platz haben. Es gibt eine junge Generation von Menschen, die sehr interessiert daran ist, teil dieses dekolonialen Prozesses zu sein – und das ist wirklich wunderbar.