Von Stefanie Lohaus

Am Rande des Sexarbeitskongress, der vom 2. bis 4. März 2016 in Hamburg stattfand, traf Missy auf die Sozialarbeiterin Sybille Homt, die in einem Vortrag erklärte, wie die Gesetzesänderung des Prostituiertenschutzgesetzes ihre Arbeit erschweren werden. In dieser Woche wird der Entwurf für das Prostituiertenschutzgesetz im Bundestag verhandelt. Im Interview spricht sie über ihren Job – und warum sie befürchtet, dass das Gesetz das Gegenteil von dem erwirkt, was es intendiert: den Schutz von Sexarbeiter*innen.

© Kathrin Tschirner
© Kathrin Tschirner

Frau Homt, seit wie vielen Jahren arbeiten Sie im Gesundheitsamt Dresden?
Ich arbeite seit mittlerweile zehn Jahren im Gesundheitsamt Dresden in der Beratungsstelle für AIDS und sexuell übertragbare Infektionen und bin dort die zuständige Sozialarbeiterin für den Themenbereich Prostitution.

Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Wir halten ein allgemeines Testangebot, vorrangig auf HIV, aber auch auf Hepatitis, Syphilis, Chlamydien und Tripper vor. Dieses Angebot ist für jeden Bürger und jede Bürgerin zugänglich, wobei wir in unserer Öffentlichkeitsarbeit und unseren Projekten vor allem die Zielgruppen der Männer, die Sex mit Männern haben, der Sexarbeiter*innen und seit geraumer Zeit auch der Freier ansprechen. Unsere Prostituiertenarbeit besteht in anonymen und kostenfreien Untersuchungen. Behandlungen sind ebenfalls möglich. Hierfür kommen die Sexarbeiter*innen zu uns in die Beratungsstelle. Wir machen aber auch aufsuchende Sozialarbeit, das heißt wir gehen in die Wohnungen und in die Bordelle, beraten vor Ort und stellen unser Angebot vor. Da die Szene in Dresden vergleichsweise klein und strukturiert ist, wurde noch keine Fachberatungsstelle und auch keine Selbsthilfeorganisation gegründet. Das bedeutet, dass wir die einzige Einrichtung sind, die einen reinen Dienstleistungscharakter in diesem Bereich hat und wir deshalb auch zu den Themen beraten, die nicht allein die Gesundheitsthemen und Untersuchungen betreffen. Themen wie Schulden, Krankenkassenpflicht, Suchtmittelkonsum, aber auch die aktuelle politische Situation und das neue Prostituiertenschutzgesetz können sowohl in der Beratungsstelle, als auch vor Ort besprochen werden. Bei Bedarf begleiten wir die Frauen und Männer auch zu anderen Beratungsstellen.

In den öffentlichen Debatten entsteht oft der der Eindruck, dass wir gar nicht wüssten, wie viele Sexarbeiter*innen es in Deutschland eigentlich gibt. Wie sieht das in Dresden aus?
Es gibt tatsächlich keine fundierten Zahlen darüber, wieviele Frauen und Männer in der Sexarbeit tätig sind. Auch in Dresden sind dies nur Schätzzahlen.

Wie stelle ich mir jetzt die aufsuchende Arbeit vor? Wie finden Sie die Wohnungen und wie stellen Sie Kontakt her?
Das klingt vielleicht etwas aufregender, als es letztendlich ist. Die Hausbesuche machen unsere Krankenschwester und ich, auch die Ärztin fährt gelegentlich mit. An der Tür stellen wir uns als Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle vor und in den meisten Fällen werden wir hereingebeten und führen die Gespräche in den Wohnungen fort. Wir verteilen mehrsprachiges Material, Kondome und andere Giveaways. Für die Sexarbeiter*innen und auch Betreiber*innen sind wir über die Jahre eine feste Größe geworden, und es hat sich ein Vertrauensverhältnis entwickelt. Unsere Arbeit ist für sie, wie auch für uns, normal und selbstverständlich. Wir haben es in Dresden mit einer recht provinziellen Situation mit einem recht übersichtlichen und gefestigten Markt zu tun. Wir haben kein Rotlichtviertel und auch keinen Straßenstrich. Es gibt hingegen vier vergleichsweise kleine Bordelle bzw. Laufhäuser und etwa 100 Wohnungen, die sich über die Stadt verteilen und außerhalb des Sperrbezirkes liegen. Die Dresdner Wohnungen sind in der Regel unabhängige Kleinunternehmen, die von den Frauen selbst oder von Betreiber*innen unterhalten werden. Wo sich die Wohnungen befinden, recherchieren wir im Internet, über Zeitungsanzeigen oder erfahren die Adressen von den Sexarbeiter*innen selbst. Viele der Wohnungen existieren aber auch schon über viele Jahre, so dass uns die Adressen bekannt sind.

Sie haben auch ein Profil auf der Webplattform PlanetRomeo, um Kontakt zu Sexarbeitern aufzunehmen. Wie nutzen Sie die Plattform denn genau?

Unsere Arbeit mit den männlichen und transsexuellen Sexarbeitern sieht etwas anders aus, als die mit den Frauen. Ein Bordell oder eine Wohnung, wo ausschließlich Männer arbeiten, haben wir nicht mehr in Dresden. Die Anbahnung geschieht hier meist über das Internet und in Szenetreffs. Das Internet ist daher ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit geworden. Bei PlanetRomeo handelt es sich um ein Portal für Männer, die Sex mit Männern haben. Hier nehmen wir direkten Kontakt zu den Sexarbeitern auf und informieren über unser Angebot. In unserem Profil ist unser Angebot beschrieben und wir informieren über aktuelle Veränderungen, z.B. über veränderte Öffnungszeiten oder über Testaktionen in der Szene. Wir beantworten aber auch Fragen, die über dieses Portal an uns gerichtet werden können.

Wie wichtig ist eine freiwillige Annahme Ihres Angebots für Ihre Arbeit?
Freiwilligkeit ist eine Grundvoraussetzung für unsere Arbeit. Es geht aber auch um Akzeptanz, Vertrauen und Anonymität. Sexarbeit ist nach wie vor ein hochstigmatisiertes Berufsfeld und deshalb sind gerade diese Faktoren für viele Frauen und Männer von entscheidender Wichtigkeit. Die im neuen Gesetzesentwurf geplante verpflichtende Gesundheitsberatung, die zumindest vor der Erstanmeldung auch nicht anonym durchgeführt werden kann, wird ein großes Problem für unsere Arbeit und für den Zugang zu den Frauen und Männern werden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich darüber Menschenhandelsopfer identifizieren lassen oder sie sich ggf. eher an eine Institution wenden können. Unsere Erfahrung zeigt allerdings, dass vor allem Vertrauen und Anonymität notwendig sind, damit sich Sexarbeiter*innen zu verschiedenen Themen öffnen können. Immanenter Zwang führt auch laut zahlreicher medizinischer und sozialwissenschaftlicher Untersuchungen vielmehr dazu, dass so genannte schwer erreichbare Zielgruppen ärztliche Kontakte meiden und damit auch eine fachgerechte Behandlung nicht möglich ist. Das ausgerufene Ziel also, die Menschen in der Sexarbeit beschützen zu wollen, wird dieses Gesetz auch in Bezug auf den Gesundheitsschutz kaum erreichen.

Wie fühlt sich es sich für Sie an, wenn Sie jemanden zwingen müssen?

Es fühlt sich schlichtweg falsch an, Menschen zu etwas zwingen zu müssen. Vor allem deshalb, weil wir uns über viele Jahre das Vertrauen in der Dresdner Szene erarbeitet haben und ein sehr gutes Angebot vorhalten, was die Frauen und Männer in der Sexarbeit für sich nutzen können, anonym und kostenfrei. Wir haben gute Erfahrungen mit unserer Form der Tätigkeit gesammelt und setzen auf Information, Akzeptanz und Freiwilligkeit.

Was denken Sie denn sind die Gefahren des Prostituiertenschutzgesetzes?
Wir gehen davon aus, dass das Gesetz in seiner Konsequenz einer Zentralisierung des Marktes Vorschub leisten wird. Wenige große Betriebe, weniger großer Betreiber*innen werden die Regel werden. Diese werden sich auf die geplanten Veränderungen wesentlich leichter einstellen können und haben die entsprechenden organisatorischen und finanziellen Mittel, um die geforderten Anpassungen vornehmen zu können. Die Formen der Sexarbeit, die gemeinde- und gesellschaftsnah sind, werden eher verdrängt werden. Denn die Auflagen in den vorliegenden Regelungen sind derart umfangreich, dass es vor allem für kleine Einrichtungen, wie sie in Dresden größtenteils vorzufinden sind, kaum leistbar sein wird, diese zu erfüllen. Doch gerade hier wird einer weitgehend selbstbestimmten Tätigkeit nachgegangen. Die Frauen und Männer, die der Prostitution nachgehen wollen, werden nach unserer Einschätzung, gerade in einem Milieu wie Dresden, zukünftig eine deutlich größere Abhängigkeit erfahren. Es darf bezweifelt werden, ob das zu einer Reduzierung möglicher Ausbeutungs- und krimineller Strukturen führt. Das neue Gesetz fördert also eher das, was es als Schreckensszenario ausgibt, nämlich, dass im Prostitutionsbereich eine „besondere Gefährdungslage“ bestünde, wie es in der Einleitung des Entwurfes steht.

© Privat
Sybille Homt © Privat

Wurden Sie oder andere Stimmen aus der Gesundheitsprävention denn angehört bei der Entstehung des Gesetzes?
Das Gesundheitsamt Dresden hat die Stellungnahme der Amtsleiter*innen der großen Gesundheitsämter und dem Bundesverband der Ärzt*innen des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) mitgezeichnet und hat selbst eine Stellungnahme verfasst. Wir haben auch in anderen Zusammenhängen an Stellungnahmen mitgearbeitet. Die Empfehlungen dieser und vieler anderer Expert*innen scheint der Gesetzgeber nicht gehört zu haben, sonst wäre ein anderes Gesetz entstanden.