Von Eva-Maria Tepest

Während Ellen Page sich vor zwei Jahren outete und seitdem als lesbisches Postergirl fungiert, zeigt sich Kristen Stewart zwar mit Partnerinnen, verweigert sich aber jeder Definition: „If you don’t get it, I don’t have time for you.“ („Wenn du es nicht verstehst, habe ich keine Zeit für dich.“) Wie steht es um das Coming-out in und außerhalb der Popkultur?

© Miguel Campos / Shutterstock.com
Kristen Stewart sagt über ihre sexuelle Identität: „If you don’t get it, I don’t have time for you.“ © Miguel Campos / Shutterstock.com

Mit siebzehn outete ich mich zunächst vor meiner Schwester. Es war Sommer, Deutschland hatte gerade die WM verloren und ich war ganz krank vor Sehnsucht. Beim Kleinstadtfest im Herbst drohte mir der Boyfriend des Mädchens, in das ich verknallt war, lautstark Schläge an, wenn ich seiner Freundin zu nahe käme. Seitdem war ich zugleich out und noch nicht out. Und während ich mein Coming-out immer wieder anders performte, hinauszögerte, variierte, wurde ich zunehmend nach meinem einen Coming-out gefragt. Ich bemerkte, das queere Freund*innen ohne Coming-out-Story im Coming-of-age sich mangelhaft fühlten. Das Coming-out wurde zum Insignium meines Andersseins.

Das ganze Leben ist ein Bekenntnis. Wir werden nicht nur angehalten, uns zu unserer (A-)Sexualität zu bekennen, sondern gleichermaßen zu unseren Ernährungsgewohnheiten, unseren psychischen Erkrankungen. Bekenntnisse sollen greifbar machen. Sie verengen. Sie zentrieren. Sie sind problem- und lösungsorientiert und damit zielgerichtet. Sie sind der Klimax auf dem Weg zur Wahrheit, ins Glück. Mit dem Coming-out wird das ganze Leben gayzentrisch. Das Coming-out kann nicht befreien. Die heteronormative Mehrheitsgesellschaft unterwirft jede geoutete Person ihrer Interpretation. Laut ihrem Geheimwissen ist dann alles immer weiterhin zu gay oder nicht gay genug. (Ich bleibe bei dem Begriff gay, weil der heteronormative Maßstab über Dualismen operiert. Queer mag als Lifestyle ok sein, ist aber im binären System nicht vorgesehen. Es hält keine Mehrdeutigkeit aus.)

Gleichursprünglich mit der Verwertung durch die Produktivitäts- und Funktionalitätsschlaufe des Spätkapitalismus wird das Coming-out eine zumindest kulturell spezifische und zumeist rassistische Angelegenheit. Im Anschluss an ihr Coming-out reist Ellen Page neuerdings in der Serie „Gaycation“ an vermeintlich exotische Orte, um dort unter widrigen Umständen Gay Tourism und Lifestyle zu zelebrieren. Jospeh Massad verficht in Desiring Arabs die These, dass erst mit dem Einbruch durch die europäische Moderne in der arabischsprachigen Welt eine spezifisch (cis-männliche!) homosexuelle Identität Einzug hielt. Geflüchteten wird in Einbürgerungstests wegen mutmaßlicher Homofeindlichkeit ihre Integrationsfähigkeit aberkannt, während in ihren Herkunftsländern unterdessen auch im Namen des Coming-outs geplündert, besetzt, Krieg geführt wird. (All das findet natürlich auch gegen das Coming-out statt. Der Irak-Krieg wurde für die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten geführt, während effeminisierte arabische Männer von harten US-amerikanischen Heterosoldat*innen symbolisch und buchstäblich penetriert wurden. Widersprüche stehen nicht im Gegensatz zum homofeindlichen und sexistischen Diskurs, sie machen ihn möglich.)

Gleichzeitig können wir uns vom Coming-out nicht befreien. Labels sind wichtig, um sich politisch zu positionieren, um Kompliz*in zu sein, und „there is something to be said for labels when you are adrift in a baffling frame of mind“ „Labels haben etwas für sich, wenn du dich an eine rätselhafte Gefühlslage verlierst.“/“Labels haben etwas für sich, wenn du keinen festen Boden unter den Füßen hast. (Jenny Diski). Das öffentlich sichtbare Coming-out dominieren immer noch weiße Cismänner. Kaum jemand (bis auf die homo- und frauenfeindlichen Kommentator*innen auf dem Blog „Politically incorrect“) nahm etwa Notiz davon, dass Umweltministerin Barbara Hendricks sich bei ihrem Amtsantritt beiläufig outete. Neben weißen Cismännern sind in Deutschland Hella von Sinnen und Anne Will die einzigen medial sichtbaren geouteten Menschen. Das Identifikationspotenzial für Personen, die sich queerfeministisch und antirassistisch positionieren, ist dürftig.

Es gibt kein emanzipatorisches Coming-out im falschen Leben. Nichtsdestrotroz sind Verstecken, Ausweichen, Unsichtbarkeit keine Alternative. In Eve Sedgwicks Klassiker „Epistemology of the Closet“ heißt es dazu: „You can’t be in it, and you can’t be out of it“. Wie schaffen wir es aber, ein Statement zu machen, das kein Bekenntnis innerhalb der patriarchalen und kapitalistischen Matrix ist? Solange das Coming-out eine mitunter notwendige Funktion erfüllt, müssen wir es strategisch vervielfältigen. It’s the strategy, stupid.

Wir müssen uns je nach Kontext als asexuell outen, als bi, queer, greysexuell, fluid und pansexuell und gleichzeitig strategisch-essentialistisch als gay. Wir müssen uns in jeder Alltagssituation bekennen und manchmal schweigen, wenn es zu sehr weh tut. Unser Outing muss die Möglichkeit eröffnen, sexuelle Identität in oppositioneller Beziehung zu definieren, nicht als positivistisch-wahr, nicht essenziell als Ding, sondern als schimmernde Praxis des Widerstands gegen die bestehende Norm. Damit in Zukunft dann hoffentlich, wie im Song der Band Easter, gilt: „Coming-out as heterosexual.“ („Coming-out als heterosexuell.“)