Von Tasnim Rödder

An einem ganz normalen Tag in Damaskus: Enana fährt mit ihrem Fahrrad zur Universität. Plötzlich folgen ihr zwei syrische Soldaten auf Motorrädern. Sie stoßen sie vom Fahrrad und treten auf sie ein. Niemand schreitet ein.

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Enana in ihrer Berliner Wohnung. © Monika Keiler

Heute sitzt die 21-Jährige mir in einer Berliner Bar gegenüber. Es riecht nach kaltem Rauch, draußen hetzen Menschen vorbei. Letzten August ist sie nach Berlin gekommen. Vier Wochen zog sich ihre Flucht über das Mittelmeer nach Deutschland. „Ich bin vor zwei Kriegen geflohen. Zuerst war da der Krieg gegen Homosexualität. Dann kam der Bürgerkrieg dazu.“

Es gibt im Arabischen zwei Begriffe für Homosexuelle: ذاوش (shawaz) ist die gängige Bezeichung. Es bedeutet auf Deutsch abnormal. نييلثم (mithliyin) ist der neutrale Begriff für Homosexualität. Man benutzt ihn selten. Ich frage sie, was mit den Menschen sei, die sich weder als homo- noch heterosexuell definieren. Darauf winkt Enana ab. Dafür gibt es keinen Begriff.

In ihrer Heimat war sie das lesbische Mädchen, das singt, einen Sidecut trägt und dazu auch noch Fahrrad fährt. Jeder kannte sie. In Berlin interessiert sich keine*r für ihre Sexualität. Das findet sie gut: „Ich möchte einfach nur mein Ding machen! Ich habe genug Scheiße erlebt.“

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Für Marcel de Groot, Geschäftsleiter der Schwulenberatung Berlin, ist Nichtstun keine Option. © Monika Keiler

Was passiert, wenn Menschen aus dem Krieg fliehen, um dann mit den Menschen in einem 15qm2-Zimmer in einer Notunterkunft zusammengepfercht zu werden, die einst ihre Verfolger*innen waren?

„LGBTI*-Geflüchtete haben über sexistische Anfeindungen über Beschimpfung bis zur Vergewaltigung alles zu fürchten. Das ist alles schon vorgefallen“, erzählt Marcel de Groot, Geschäftsleiter der Schwulenberatung Berlin. Seit drei Jahren arbeitet die Organisation mit und für geflüchtete LGBTI*, im Juli 2015 eröffnete sie eine Beratungsstelle in Kreuzberg. Jeden Dienstag und Freitag findet dort ein Treffpunkt statt, an dem LGBTI* jeglicher Herkunft und Glaubensrichtung einen geschützten Raum mit Beratung, Übersetzungshilfen, Austausch und ehrenamtlicher Begleitung finden.

Es stellt sich jedoch folgende Frage: Wie soll ein Mensch, der in seiner Heimat und auf seiner Flucht aufgrund seiner Sexualität, seiner Individualität, Gewalt und Diskriminierung erfahren hat, in einem völlig fremden Land herausfinden, dass es ein solches Angebot überhaupt gibt? An dem Ort, an dem viele Geflüchtete als Erstes Zuflucht finden sollen, nämlich dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin (LAGeSo), gibt es eine Ansp…