Von Semhar Ghide

In Anlehnung an James Spooners gleichnamigen Dokumentarfilm entstand das Afropunkfestival in Brooklyn im Jahr 2005, um Schwarzen Menschen eine Plattform innerhalb der weiß dominierten, US-amerikanischen Punkrockszene zu bieten. Seit seiner Entstehung hat sich das Festival weit über die Punkrockszene hinaus zu einer Bewegung entwickelt, die Schwarze Menschen in Europa und den USA zusammenbringt, um moderne Schwarze Widerstandskultur zu zelebrieren. Das Festival wird sehr oft mit der Freiheit eines übergroßen geschützen Raumes für Schwarze Menschen assoziiert und in Berlin ist es für meine Freund*innen und mich nicht selbstverständlich, dass wir uns frei und unbeobachtet fühlen. Wir waren bereit, für dieses Gefühl zu Afropunk nach Paris zu fahren. Wahrscheinlich könnte es deshalb nicht ironischer sein, dass ich dort an meinem letzten Tag meine bisher gewaltvollste, aber gleichzeitig empowerndste Erfahrung machen sollte.

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Semhar und ihre Crew auf dem Afropunkfestival in Paris © Shaheen Wacker

(Bildbeschreibung: Porträt der Autorin und zwei weiteren Personen auf dem Afropunkfestival.)

Sie beginnt mit unserer Begegnung mit drei weißen Frauen mit westafrikanischen Turbanen. Eine von ihnen hätte ihr dazu passendes Kostüm nur noch durch Blackface steigern können. Ungläubige Blicke folgten ihnen auf ihrem Weg durch die Eingangshalle zum Konzertsaal. Während wir uns noch berieten, wie wir mit der Situation umgehen sollen, hatte eine Bekannte sie bereits angesprochen, um zu fragen, ob sie denn eine Verbindung zu den Kleidungsstücken haben, die sie tragen.

Wir blieben sehr ruhig, als sie antworteten, dass sie schon einmal auf Kuba waren. Wir blieben ebenfalls ruhig, als wir erklärten, dass sie als Verbündete mit uns gegen Rassismus kämpfen könnten, anstatt sich genau der kulturellen Elemente zu bedienen, für die wir diskriminiert werden. Solange ich mich respektvoll verhalte, ist es mein Recht, meine Meinung zu äußern und Perspektiven herauszufordern. Weißer Fragilität folgend waren das diese Frauen nicht gewöhnt. Zwei von ihnen fingen an zu weinen und nahmen ihre Turbane ab.

Nachdem wir das Gespräch verlassen hatten, sahen wir, wie sie immer noch unter Tränen Trost bei einer Gruppe Schwarzer Männer suchten, die es ganz offensichtlich sehr genossen, sich als Retter positionieren zu können. Entschlossen, diese klassische Dynamik zu ignorieren und einen restlichen schönen Abend zu verbringen, gingen wir an der Männertraube, die sich um die Frauen gebildet hatte, vorbei an die Bar, um ein paar Getränke zu bestellen. Was wir nicht wussten, war, dass sie ihnen erzählten, wir hätten sie geschubst, geschlagen und ihnen ihre Turbane vom Kopf gerissen. Auf der anderen Seite der Bar verstand ich die Frau nicht, die mich darauf ansprach. Sie sagte mir laut, ich sei hasserfüllt. Bestärkt durch diesen Ausspruch veränderte sich plötzlich die Situation.

Einer der Männer, bei denen die Frauen “Schutz“ gesucht hatten, stürmte Beleidigungen schreiend auf mich zu. Er wurde so laut und körperlich so übergriffig, dass zwei weitere Männer ihn in seiner Rage zurückhalten mussten. Mehrere Menschen versuchten die Situation zu deeskalieren, aber eine Gruppe gewalttätiger Männer lässt sich nicht so schnell auflösen. Es interessierte ihn nicht, dass ich mehrfach schrie, dass wir die Frauen nicht angefasst hatten. Es war nicht so, als ob er mich nicht hörte, es war so, dass das für ihn nicht wichtig war. Ihm war wichtig, seinen Auftritt vor diesen weißen Frauen zu vervollständigen, indem er Macht, Dominanz und Gewalt an meinem Körper demonstrierte.

Er war zu sehr damit beschäftigt zu schreien, dass er mich außerhalb des Festivals ohne Sicherheitsleute schlagen würde und dass er zu jedem Zeitpunkt diese Frauen mir vorziehen würde. Als ob mein Körper nur dazu da ist, um von Männern bewertet und gewählt zu werden. Es ist sehr deutlich, dass weiße Frauen von Männern unabhängig von ihrer Hautfarbe zu Objekten gemacht werden können, die beschützt werden müssen. Es ist sehr deutlich, dass das für Schwarze Frauen nicht gilt. Die drei weißen Frauen schauten zu, während ich angeschrien, beleidigt und belästigt wurde. In einer Situation, die so eskalierte, dass mehrere Menschen eingreifen mussten, kam es ihnen nicht in den Sinn, die Situation aufzulösen. Er schien mit seinem Auftritt sehr zufrieden, als seine Freunde es schafften, ihn von der Bar wegzuziehen. Meine Freundinnen brachten mich im Affekt nach draußen.

Semhar und ihre Freundinnen auf dem Afropunk-Festival in Paris © Shaheen Wacker
Semhars Freundinnen unterstützten sie auf dem Festival und zeigten sich solidarisch. © Shaheen Wacker

 

(Bildbeschreibung: Schnappschuss einer Gruppe lachender Personen auf dem alternativen Afropunkfestival.)

Während wir draußen über die Ungerechtigkeiten dieser Situation sprachen, überkam mich eine Wut in einem Ausmaß, wie ich es vorher noch nicht kannte. Wie kann es sein, dass die Rollen in unserer Gemeinschaft so klar verteilt sind, dass weiße Frauen sich perfekt der Hierarchie vom Schwarzen Mann zu einer Schwarzen Frau bedienen können? Wie kann es sein, dass ich ein Festival verlassen muss, dass angeblich meinen Widerstand feiert, um nicht weiter diesem Machtgefälle ausgesetzt zu sein? Einer Gefahr, die weiße Frauen inszenieren und von Schwarzen Männern, sofern genügend internalisierter Rassismus vorhanden, ausgeführt werden kann? Ich stand noch sehr unter Schock, als meine Freundin Bafta sagte, dass das genau der Grund ist, warum wir Schwarzen Feminismus brauchen. Und sie hat recht! Ich stand auf und verlangte, dass die anderen wieder mit mir in das Gebäude gehen. Wenn diese Frauen Menschen mobilisieren können, damit wir attackiert werden, dann können wir ebenfalls Menschen mobilisieren, um diese Gewalt nicht still hinzunehmen.

Also gingen wir wieder zurück. Während ich verschiedene Gruppen ansprach, um meine Geschichte zu erzählen, brachten meine Freundinnen weitere dazu und suchten den Mann, der mich zuvor so attackiert hatte. Ich unterlag währenddessen einem wunderschönen Trugschluss. Ich habe Schwarze Männer angesprochen, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass mein Körper kein Objekt ist, an dem nach Belieben frei Gewalt ausgeübt werden darf. Aber es waren nicht Schwarze Männer, sondern Schwarze Frauen, die wütend wurden und mich unterstützen wollten. Es waren Schwarze Frauen, die meine Hand hielten und ihre Freund*innen riefen, damit sie sich uns anschlossen.

Die Eingangshalle und die Treppe, die zum ersten Stockwerk führte, füllte sich sehr schnell mit Menschen, die mich anhören wollten und mir gut zuredeten. Dieser Mann wird nie vergessen, wie eine Gemeinschaft von wütenden Menschen sich geschlossen gegen die Gewalt, die von ihm ausging, zur Wehr setzte. In den letzten Wochen habe ich sehr viel darüber gesprochen, dass die Differenz in Macht, die wir als Schwarze Frauen erfahren, vervielfacht zu uns zurückkehrt, wenn wir uns verbinden. Ich werde nicht vergessen, wie mein Widerstand gegen die Ungerechtigkeit, die mir widerfahren ist, so viele Menschen mobilisieren konnte.

Wenn ich es nicht vermeiden kann, diesem Machtgefälle und Mehrfachdiskriminierungen als Schwarze Frau ausgesetzt zu sein, und die Welt sich sowieso an meinem Körper abschafft, ist es mein Recht, radikal, laut und wütend zu sein.