Von Stefanie Lohaus

Gestern gab der Bundestag uns einen Grund zum Feiern: Es gibt einen Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht hin zu „Nein heißt Nein“. Dafür haben wir uns seit Monaten die Finger wundgetippt, telefoniert und demonstriert. Und dann gab er uns gestern einen, nein gleich ZWEI Gründe, um richtig, richtig wütend werden. Erstens: die CDU/CSU-Fraktion, die dem ansonsten wirklich ziemlich guten Gesetzesentwurf zu §177 noch unterjubelte, dass mit der Gesetzesänderung auch Ausweisungen erleichtert werden sollen.

Foto Chris Griffith: (CC BY 2.0) https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/
Foto: Chris Griffith (CC BY 2.0)

Der zweite Grund ist die ebenfalls gestern beschlossene Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes. Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen haben direkt im Anschluss die Einführung des Gesetzes als unvereinbar mit internationalen Menschenrechtsstandards kritisiert, darunter Amnesty International, der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. und die Koordinations- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel Ban Ying e.V.

Besonders problematisch ist die Einführung einer Registrierungspflicht für Sexarbeiter*innen, die dem Ziel dienen soll, von Menschenhandel Betroffene ausfindig zu machen. Unsere Autorin Sonja Dolinsek schrieb dazu vor nur wenigen Wochen:

„Die Forschung über Menschenhandel und erzwungener Prostitution zeigt immer wieder, dass Zwang nicht in kurzer Zeit – in 15, 30 oder 45 Minuten – und in einer de facto Zwangssituation zweifelsfrei festgestellt werden kann. Die Gefahr, dass bei der Anmeldung Betroffene von Zwang mit dem staatlichen Stempel der ‚Freiwilligkeit‘ versehen werden, ist real. Diese Personen werden es ungemein schwerer haben, Ausbeutungsverhältnisse bei der Polizei und vor Gericht geltend zu machen. Doch das will die Große Koalition nicht hören, obwohl Sozialarbeiter*innen, Beratungsstellen und Organisationen, wie der Deutsche Juristinnenbund, darauf hinweisen.

Doch das größte Problem stellt der Prostituiertenausweis an sich dar. Er liefert Sexarbeiter*innen der lebenslangen Gefahr einer Erpressung aus: Wer ein Foto davon macht, kann mit einem Outing bei Familie, aktuellen oder zukünftigen Arbeitgeber*innen und der allgemeinen Öffentlichkeit drohen. Weil Sexarbeit immer noch so stigmatisiert ist, können Sexarbeiter*innen damit de facto am Berufswechsel gehindert werden, zur Sexarbeit gezwungen werden und sich ausbeuterischen Arbeitsbedingungen zu fügen.

Mit der Verbreitung von Gesichtserkennungssoftware kann so ein Bild ein ganzes Leben zerstören – und zwar auch erst in zehn, zwanzig Jahren. Wer heute als Student*in mit Sexarbeit das Studium oder als alleinerziehende Mutter das Überleben der eigenen Kinder finanziert, könnte später, in einem anderen Berufsleben, damit erpresst werden. Gerade für Migrant*innen ist das eine Gefahr, denn in ihren Herkunftsländern ist Sexarbeit meist noch verpönter als in Deutschland. Sexarbeiter*innen riskieren den Verstoß aus der Familie und damit die soziale Isolation. Selbst die Kinder der Prostituierten könnten darunter leiden.

Datenschutzgesetze mögen in Deutschland die Veröffentlichung im Internet eines Hurenausweises kriminalisieren und damit vielleicht auch verhindern. Aber das Internet ist global und ein geleakter Hurenausweis ist ein geleakter Hurenausweis ist ein geleakter Hurenausweis.“

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WER MEHR WISSEN WILL: Am Freitag 15. Juli 2016 von 19:00–20:30 Uhr findet im Rahmen des Festivals „Body Talk“ in den Münchner Kammerspielen eine Veranstaltung zum Thema „Kriminalisierung in der Sexarbeit“ statt.

PREKÄRE KÖRPER. SEXARBEIT ZWISCHEN KRIMINALISIERUNG UND SELBSTERMÄCHTIGUNG
Wenige Themen polarisierten und polarisieren Feminist*innen so sehr wie die Prostitution. In keinem anderen Feld manifestieren sich Fragen nach sexueller Selbstbestimmung, patriarchalen Beziehungsstrukturen und Armut/Klasse derart offensichtlich. Seit einer Kampagne der Zeitschrift „EMMA“ für die Einführung von mehr Kontrollen und Strafen hat sich die falsche Vorstellung durchgesetzt, dass diese in Deutschland unreguliert und entkriminalisiert sei. Das stimmt nicht, insbesondere nicht in einer Stadt wie München. Im Gespräch mit Expert*innen, unter anderem der Sozialarbeiterin Sybille Homt aus Dresden, einer Sexarbeiterin aus Bayern und der Datenschutzbeauftragten des bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel (KOK), Bärbel Uhl, geht es um gut gemeinte „Schutzmaßnahmen“, die häufig das Gegenteil bewirken – und um die Frage, welche Maßnahmen die Situation der prekären und schutzbedürftigen gesellschaftlichen Gruppe der Sexarbeiter*innen verbessern würden.
MIT Sybille Homt (Gesundheitsamt Dresden), Bärbel Uhl (KOK gegen Menschenhandel e.V.), Sonja Dolinsek (HU Berlin) u.a., Moderation Mithu Sanyal