Von Olja Alvir

Im Urlaub in der „alten Heimat“ fallen sie immer am stärksten auf – meine, nun ja, bestenfalls als sympathische Eigenart zu interpretierenden – Defizite im Umgang mit meiner Muttersprache. Nach vielen Monaten deutschsprachigen Alltags ist die Zunge müde und die Schaltkreise sind eingerostet. Es dauert immer einige Tage oder Wochen, bis ich wieder flüssig kommunizieren kann. Bis Nuancen in meiner Rede erkennbar werden, Spitzfindigkeiten auszumachen sind und eine gewisse Selbstverständlichkeit in der Herzenssprache eintritt.

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Palme im Urlaub. © Tine Fetz

„Herzenssprache“ schreibe ich da. Normalerweise bin ich nicht so kitschig, aber hier lasse ich mich zu einem solchen Begriff hinreißen, zumal (die ohnehin veraltete – no pun intended) „Muttersprache“ und „Erstsprache“ als Bezeichnungen ihre eigenen Problematiken haben. Was, wenn jemand keine Mutter oder zwei oder mehr Erstsprachen hat?

Nein, Herzenssprache trifft es da schon viel besser, denn obwohl ich sie bestimmt nicht so gut spreche wie Deutsch, versteht sie mich doch viel besser.

In meinem Fall ist es ja mit dem Sprachenzeugs wegen des Zerfalls Jugoslawiens noch etwas komplizierter, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls erkennen Familie, Freund*innen und Bekannte, aber auch Kellner*innen und Supermarktverkäufer*innen in meiner alten Heimat in Exjugoslawien, dass ich mich anders ausdrücke, einen anderen Akzent habe. Dass da mit mir etwas nicht stimmt, dass ich nicht „von hier“ sein kann. Bilde ich mir zumindest ein, vielleicht ist das ja auch nur eine Paranoia, die ich mir habe einreden lassen. „Haha, hör, wie sie redet, wie eine echte Švabica“, witzeln die Leute oft, wenn ich Vokabeln vergesse oder Fälle durcheinanderbringe. Mische das mit einem regelrechten Deutsch-Fetisch in der Migrationspolitik und einem Pochen auf Kenntnis der Erstsprache im akademischen Bereich und fertig ist der widerliche und widersprüchliche Eintopf, der insbesondere Migrant*innen der Zweiten Generation von der Gesellschaft serviert wird.

Um nicht in der neuen Heimat als Ausländer*in und in der alten als Švabica ausgeschlossen zu werden, müssten wir Migrant*innen also erstens mehrere Sprachen fehlerfrei beherrschen und zweitens alle damit verbundenen Aspekte (Gefühle, Habitus, Identität) strikt voneinander isolieren. Ganz einfach, nicht?

Abgesehen davon, dass solche Anforderungen nationalistischen Vorstellungen entspringen (siehe Exjugoslawien, aber auch die Rivalität zwischen „Bundesdeutsch“ und „österreichischem Deutsch“), gehen sie komplett an der Realität von Sprachen und Sprachgebrauch vorbei. Es ist kein Defizit, eine Sprache nicht perfekt zu beherrschen. Ganz im Gegenteil: Es ist eine Bereicherung, auch lediglich das Alphabet, „Bitte“ und „Danke“ in neuen Sprachen zu lernen. Bei Kommunikation und in der Verständigung ist es ganz einfach: je mehr desto besser. Geben wir uns also einfach mal die Blöße, etwas nicht perfekt zu können. Blöße ist ohnehin viel zugänglicher als Fassade – egal wie poliert und herausgeputzt sie auch sein mag.

„Moment, ich weiß gerade nicht, in welcher Sprache ich diesen Gedanken gerade hatte“, habe ich neulich grübelnd beim Diskutieren zu einem Genossen gesagt. Diese Unsicherheit, diese Brüchigkeit war eines der interessantesten Gefühle, die ich je hatte. Ich werde mir daher meine Welt weiter in meinen eigenen Worten bauen, selbstbewusst mit Sprachenmischmasch spielen und Kommunikation als Wunder vieler Ebenen begreifen. Scheiß auf Normativität, Grenzen und konstruierte Zugehörigkeiten. Gegen die Reinheit der Sprache!