Von Tove Tovesson

„Inspirierend“ ist wohl das meistgebrauchte Adjektiv in der Berichterstattung über die achtzehnjährige Schwimmerin Yusra Mardini. Nachdem sie 2012 noch für Syrien an den Olympischen Spielen teilnimmt, flieht sie im August 2015 aus ihrer vom Krieg zerstörten Heimat. Als das kleine, überfüllte Boot, mit dem sie nach Griechenland gelangen will, den Geist aufgibt und zu kentern droht, zieht sie es mit ihrer Schwester und zwei anderen über drei Stunden schwimmend ans sichere Land. Zwanzig Menschenleben gerettet. Eine Heldinnentat. Ein Jahr später startet sie für das Refugee Olympic Team bei Olympia.

Die Schattenseite des motivierenden Ansporns. © Tine Fetz
Die Schattenseite des motivierenden Ansporns. © Tine Fetz

Auf Twitter schreibt Mardini Dinge wie „When people say you can’t do it, prove them wrong“, oder „My message at these Games: Never give up.“ Das Unmögliche tun, niemals aufgeben. Diesen Sportsgeist teilen sicher die meisten Leistungssportler*innen, denn wie sollte es sonst möglich sein, sich in einer Disziplin so übertrieben hart zu gönnen von Erfolg her. 2015 holt Yusra Mardini Gold im Überleben. Etliche Menschen auf der Flucht schwimmen im gleichen Jahr ebenfalls so lange sie können und verlieren ihr Leben. Ich kenne ihre Namen nicht. Yusra Mardini lerne ich durch einen Retweet von Heiko Maas kennen. Inspirierend, wie Menschen die tödliche Grenzpolitik Europas überleben. Man muss einfach nur sehr, sehr, sehr gut schwimmen können, um auf der Flucht nicht zu ertrinken. Duh! Hashtag Hunger Games. Hashtag Zentrum für Politische Schönheit.

Yusra Mardini wendet sich in ihren Tweets explizit an andere Geflüchtete. Ich versuche mir eine so aussichtslose Situation vorzustellen, dass mir nur noch die Utopie als Quell der Hoffnung bleibt. Es ist eine traurige Hoffnung: Du kannst überleben, gegen alle Widerstände und du kannst danach sogar etwas anderes sein als eine Überlebende oder eine Geflüchtete. Also sofern du eine Schwimmerin auf olympischem Niveau bist. Es ist ein von Menschen an Menschen verübtes Verbrechen, dass die Ansprüche so hoch sind. Fast übermenschliche Leistungen können nicht die Zugangsbedingung zum Überleben sein. Für alle, die mit einem Pass in einem sicheren Land hocken: Uns gehört der Horror dieser Geschichte, nicht die Hoffnung. Die Utopie, wörtlich übersetzt der Nicht-Ort, ist es, wohin wir Menschen verweisen, wenn wir unsere Nationen abriegeln. Yusra Mardini sollte in unserer Geschichte nicht überleben.

Es ist zynisch, für irgendetwas Geringeres als #openborders zu sein und gleichzeitig eine junge Frau für ihr Überwinden dieser menschengemachten Grenzen zu feiern. Guilaine Kinouani schreibt hierzu, dass Marginalisierte, die in einem diskriminierenden System Erfolg haben, als Inspiration für andere Marginalisierte dienen und gleichzeitig dazu instrumentalisiert werden, die diskriminierenden Strukturen des Systems zu verschleiern. Du kannst es eben doch schaffen, du musst nur doppelt so hart wie andere arbeiten. Der Appell geht ans Individuum statt an die Gesellschaft. Dies führt dazu, dass privilegierte Menschen inspiriert sind, wo sie eigentlich empört sein sollten, zum Beispiel wenn ein Mädchen stundenlang um sein Leben schwimmt. Die eigene Verantwortung? New phone who dis.

Das Refugee Olympic Team hat keine Flagge, keine Hymne. So sollte es sein, keine Liebe für eine Nation.