Von Stefanie Lohaus

Die nun vom Bundestag endlich beschlossene Reform des Sexualstrafrechts zeigt: Wenn Offline- auf Onlineaktivismus trifft, dann kann das zum Ziel führen. Jahrelang warben Jurist*innen und Expert*innen aus der Praxis für eine Reform des Sexualstrafrechts in Deutschland. Zum einen ging es darum, Schutzlücken zu schließen, etwa wenn eine sexuelle Handlung gegen den Willen einer Person zwar nachgewiesen werden kann, aber vor Gericht nicht als solche anerkannt wird. Zum anderen sollte Aufmerksamkeit geweckt werden für die vielen Fälle sexualisierter Gewalt, die nicht an die Öffentlichkeit geraten, weil die Betroffenen schweigen.

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Im Hashtag-Himmel. © Collage/Pixabay-Kapa65/Pixabay-cocoparisienne

Auch Onlineaktivist*innen ließen nicht locker: Im Mai 2012 startete die Twitter-Kampagne #ichhabnichtangezeigt, in der 1.105 Statements von Betroffenen sexualisierter Gewalt gesammelt und ausgewertet wurden und so für das Thema sensibilisierten.

2014 veröffentlichte der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe eine Analyse von 107 vor Gericht verhandelten Fällen, die belegten, dass es im deutschen Strafrecht Schutzlücken gibt, weil die Gewalt nur als solche anerkannt wird, wenn das Opfer sich tätlich gewehrt hat – was mindestens die Hälfte jedoch aus Angst oder Schock unterlässt.

Im Oktober 2015 folgte die Kampagne „Nein heißt Nein“, flankiert von einer Onlinepetition auf der Plattform change.org. Der dazugehörige Hashtag #neinheißtnein sorgte dafür, dass die Spannung über einen lange Zeitraum aufrechterhalten werden konnte. Fast 120.000 Personen unterzeichneten die Petition schlussendlich.

Nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht sorgte dann #ausnahmslos für Schlagzeilen. Dieser Hashtag richtete sich gegen sexualisierte Gewalt, aber auch dagegen, diese für rassistische Stimmungsmache auszunutzen. Er wurde von 22 Feminist*innen verfasst und fand internationale Beachtung.

Wie wichtig diese Kritik ist, zeigt die letztendliche Ausformung des neuen Gesetzes, das leider auch Einzug in das Asylrecht hielt. Hier hat das Twittern nix genützt, die CDU/CSU Fraktion drückte in letzter Minute restriktive Änderungen im Gesetzesentwurf durch.

Den letzten Rest gab der aufgeheizten Debatte schließlich #TeamGinaLisa. Model Gina-Lisa Lohfink war eines Nachts in sexuelle Handlungen mit zwei Typen verwickelt, kann sich nur schemenhaft erinnern und sieht im Sommer 2012 Aufnahmen der Nacht auf Pornoplattformen. Der Fall wandert vor Gericht, die Täter werden freigesprochen, obwohl Lohfink im Video mehrmals „Hör auf“ sagt. Nach dem Freispruch wurde Lohfink wegen Falschaussage verklagt.

Angesichts der teilweise sexistischen Medienberichterstattung und Twitter-Kommentaren, die Lohfink als „Schlampe“ darstellen darstellen und implizieren, eine solche könne nicht vergewaltigt werden, twitterte Autorin Julia Schramm: “Frau wird vergewaltigt, es wird gefilmt und dem Boulevard angeboten und die Staatsanwältin erhebt Anklage gegen sie. #teamginalisa.“

Der Tweet war der Beginn einer Solidarisierungskampagne quer durch die feministischen Lager und sorgte für Diskussionsstoff bis in die Ränge höchster Richter*innen hinein. Nicht zuletzt heizten die Attacken von Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof, gegen Jurist*innen und Aktivist*innen die Debatte an. Zum Glück war es da bereits zu spät und die Reform beschlossene Sache.

Weil der Lohfink-Fall mehr Sichtbarkeit und mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, als etwa die Kampagne  des Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, wurde er von einigen Medienkommentator*innen kurzerhand als Auslöser für die Sexualstrafrechtsreform interpretiert. Die Unkenntnis über die vorhergegangenen Diskussionen und Kampagnen in den Mainstreammedien, ist wieder ein typisches Beispiel für die Unsichtbarmachung von feministischem Aktivismus und jahrelanger Arbeit. Auch ist die Tatsache, dass Gina Lisa Lohfink der Falschaussage für schuldig befunden wurde, kein Grund, die Sexualstrafrechtsreform an sich in frage zu stellen. Der Fall hat zwar die öffentliche Debatte befeuert, war aber in keinster Weise Anlass für die Reform. Insofern wirken auch die jüngst geäußerten Rücktrittsforderungen von Wolfgang Schäuble an Heiko Maas, der sich zu dem Fall geäußert haben soll, unangemessen.

– Dieser Text erschien bis auf den letzten Absatz zuerst in Missy 03/2016.