Von Azadê Peşmen

„Spiegel“, „Stern“, „Bunte“ und die „Gala“. Nein, das gehört nicht zu meiner regelmäßigen Zeitschriftenlektüre, aber es ist nun mal das, was in Wartezimmern in Arztpraxen lieblos auf dem Tisch verteilt rumliegt. Eigentlich kann ich das gar nicht so genau wissen, denn ich bin ein seltener Gast in diesen Räumlichkeiten. Aber ich erinnere mich noch gut an das letzte Mal, als der seltene Fall eingetreten ist und ich ärztliche Beratung aufsuchen musste. Und das war dann der Moment, in der ich halt doch die genannten Magazine in die Hand nahm und lesen musste, wie Menschen, die nicht zu meiner „Generation“ gehören, über ebendiese schrieben.

Fertig, ausgebrannt, finito. © Tine Fetz
Fertig, ausgebrannt, finito. © Tine Fetz

Ja, okay, der (Don’t believe the!) Hype ist zwar mittlerweile vorüber, aber ganz prophylaktisch, falls er doch noch mal auftreten sollte: Jedes Mal, wenn von der Generation Y die Rede ist, die ja ganz doll auf ihre Work-Life-Balance achtet, frage ich mich: Von wem redet ihr eigentlich?

Wenn ich in meine eigene Lebenswelt schaue, dann bin ich umgeben vom Gegenteil. Alle arbeiten rund um die Uhr und wenn sie gerade nicht arbeiten, dann machen sie sich Sorgen um die Zukunft und/oder haben Angst davor, ihre prekär bezahlten Jobs zu verlieren. Ja, manche nehmen sich Selbstfürsorge vor, aber mal ehrlich: Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und wenn wir von Kindesbeinen an schon gelernt haben, uns kaputt zu arbeiten, dann verlernen wir das bestimmt nicht so schnell. Vor allem bei denjenigen, die ohnehin schon realistische Ratschläge bekommen haben, dass sie sich mehr anstrengen müssen als alle anderen. Das sind dann auch diejenigen, die sich tendenziell eher in der Arbeitsspirale verhaken, weil sie auf kein weiches Kissen fallen, das sie abfedert, wenn sie mal nicht 100 Prozent bringen (können). Insofern kommt diese Arbeitswut und die mangelnde Bereitschaft zur (gesundheitlich erforderlichen) Ruhe nicht aus dem Nichts.

Bei Sätzen wie „Mir ist gerade alles zu viel“ haben in meinem Dunstkreis alle sofort eine Vorstellung davon, wie sich das anfühlt. Fast alle mussten irgendwann mal die Notbremse ziehen und merken, dass es einfach (lebens-)notwendig ist, zwei, drei Schritte zurück zu treten. Mal eine Pause zu machen. Mit anderen Worten: Das, was Hillary Clinton in die Schlagzeilen brachte, die Diagnose einer Lungenentzündung, weshalb sie kurzzeitig den Wahlkampf unterbrach, ist schlicht und ergreifend nichts Außergewöhnliches. Es ist das, was allen Menschen (vor allem bei dem Pensum!) passiert oder passieren kann. No need to freak out.

Wir sind keine Maschinen und so zu tun, als wären wir es, bringt uns nicht weiter, im Gegenteil. Sich zurückzuziehen, egal für wie lange, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke. Die Stärke zu wissen, wo die eigenen Grenzen der Belastbarkeit liegen, und sie liegen bei allen Menschen woanders. Wichtig ist nur zu wissen, wo genau. Das ist, um mal in einer ganz bestimmten Verwertungslogik zu bleiben, auch gar nicht mal so unprofitabel. Mitarbeiter*innen, die selbst wissen, wie viel sie schaffen, sind mit Sicherheit besser einsetzbar als diejenigen, die sich zu viel aufhalsen und erst die Hand heben, wenn es fünf vor zwölf ist.