Von Judith Taudien

Laut, kraftvoll und manchmal unbequem sind die Songs der norwegischen Musikerin Jenny Hval, die in der Vergangenheit auch unter dem Pseudonym Rockettothesky in Erscheinung trat. Für ihr neues Album hat sich Hval von Horrorfilmen der 1970er-Jahre und deren eigentümlichen Sounds inspirieren lassen. Dabei pendelt „Blood Bitch“ zwischen eingängigen Electro-Pop-Stücken, geprägt von Jenny Hvals zarter wie eindringlich-hoher Stimme, und fein geflochtener Klangkunst.

© Jenny Berger Myhre, Lasse Marhaug
© Jenny Berger Myhre, Lasse Marhaug

Dein neues Album trägt den Titel „Blood Bitch“ und handelt von Menstruation. Was hat dich dazu bewogen, diesem Thema ein ganzes Album zu widmen?
Ich hatte gar nicht die Absicht, ein komplettes Album über ein bestimmtes Thema zu schreiben. Alles, was ich wollte, war, schöne Popsongs zu schreiben, die mir ein gutes Gefühl geben. Zur selben Zeit habe ich aber auch unzählige Horror- und Exploitationfilme aus den 1970ern geschaut, die mich mit ihren Synthesizer-Sounds sehr beeinflusst haben, ebenso wie die Geräusche der Menschen und Räume in diesen Filmen. Im Horrorgenre gibt es sowohl reelle Sounds von Menschen als auch abstrakte, bislang unbekannte Klänge wie jene von Monstern, Maschinen oder Aliens. Horror hat also eine beeindruckende klangliche und visuelle Bandbreite und davon habe ich mich stark inspirieren lassen.

Von dort war dann der Schritt zu den Vampirinnen nicht mehr weit. Vampirinnen sind Kreaturen, die sich zwischen Menschlichem und Nicht-Menschlichem bewegen. So kam schließlich der Blutkontext dazu. Wenn ich über Menstruation und Blut spreche, denke ich nicht an ein gesellschaftliches Thema, sondern sehe vor allem die starken mystischen Elemente. Ich bin überzeugt, dass es eine Verbindung zwischen Jugendlichkeit, Menstruation und den kraftvollen Bildern von Blut im Horrorgenre gibt. All das habe ich für die Entstehung des Albums in meinem Kopf gemixt.

Die Texte in deinen Songs – nicht nur jene auf „Blood Bitch“ – handeln ja generell von Themen, die noch immer als gesellschaftliche Tabus gelten.
Daran denke ich gar nicht, wenn ich einen Song schreibe. Ich finde es sogar sehr schade, dass so viele Menschen meine Texte für provokativ halten, denn alle Lyrics stehen in einem bestimmten musikalischen Kontext. Das wird gerne übersehen. Kunst ist ein Raum, in dem es okay ist, mit einer anderen Stimme zu sprechen als mit der, die ich in meinem Alltag verwende. Es geht darum, in der Kunst einen Raum zu erschaffen, in dem Schwänze oder Menstruation keine Tabus sind. Hier können sie abstrakte Elemente, Töne, Metaphern, aber auch Wünsche, Fetische oder Fixierungen sein. Die Bedeutung der Wörter kann in alle möglichen Richtungen gedehnt werden. Bei „Blood Bitch“ wollte ich ganz andere Texte schreiben als bisher. Ausgehend von der Musik wollte ich sehen, wohin mich der Sound beim Schreiben lenkt. Am Ende sind die Songs sehr blutig geworden. Aber ich denke nicht, dass ich mit dem neuen Album Tabus gebrochen habe.

Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, Themen wie Gender oder Feminismus in der Musik Raum zu geben?
Kunst kann politisch aufgeladen sein, aber sie ist eben auch dann relevant, wenn sie unpolitisch daherkommt. Wenn ich Songs schreibe, dann gehe ich bewusst sehr naiv an die Sache ran und lasse erst einmal alles fließen. Natürlich bin ich an vielen Themen, an Feminismus und Politik interessiert, aber ich möchte mich nicht hinsetzen und darüber nachdenken, wie ich über solche Themen singen kann, bevor ich einen Song schreibe. Das passiert erst, nachdem ich eine Platte gemacht habe.

„Blood Bitch“ ist das vierte Album, dass du unter deinem richtigen Namen veröffentlichst. Einige Stücke klingen sehr experimentell und erinnern an Klanginstallationen oder auch – mit Geräuschen wie schnellen Schritten auf einem Flur – an Hörspiele. Welche verschiedenen Medien nutzt du, um die Geschichten in deinen Songs zu erzählen?
Ich habe schon immer Filmsoundtracks geliebt. Damit meine ich nicht nur die Musik, sondern alle Geräusche: Stimmen, Laufen oder Dinge, die bewegt werden. Außerdem brauche ich im Hintergrund immer einen Film, wenn ich an Songs arbeite. Und natürlich interessiert mich auch Radio als Medium und wie es Menschen gelingt, nur durch ihre Stimmen einen Raum zu erschaffen. Ich denke, das neue Album ist mehr denn je Popmusik, und in der Popmusik ist alles möglich. Man kann Songs unterbrechen, sprechen oder eine zehnminütige Aufnahme von bellenden Hunden einbauen. Das passiert ja in der Mainstream-Popmusik auch. Ich glaube nicht, dass es einen Unterschied zwischen Geräuschen und Musik gibt. Für mich ist jeder Ton Musik.

hvalJenny Hval „Blood Bitch“
(Scared Bones/Cargo), VÖ: 30.09.

Die Songs auf „Blood Bitch“ sind musikalisch sehr unterschiedlich. Deine erste Single „Female Vampires“ ist zum Beispiel eine sehr tanzbare Electro-Pop-Nummer, in anderen Songs hingegen experimentierst du mit verschiedenen Soundkulissen. Wie wichtig ist es für dich als Künstlerin, dich bei jedem Album neu zu erfinden?
Früher dachte ich, dass ich mich ständig neu erfinden muss, aber mittlerweile finde ich, dass jedes Album für sich eine eigene Kreatur sein sollte. Mit dem Älterwerden konzentriere ich mich weniger auf das, was ich selbst bin, sondern mehr auf das, was ich mache. Es ist ein bisschen so, als ob ich mit jedem Mal als Person ein bisschen sterben und immer mehr zu meiner Kunst werden würde. Oder vielleicht wird meine Kunst auch langsam zu mir.