Von Katja Peglow

Fühlt ihr euch auch manchmal wie eine schlechte Feministin? Zum Beispiel, wenn ihr vorm Einschlafen schon wieder an einem der unzähligen Schminkvideos im Internet hängen geblieben seid? Oder viel zu viele Stunden auf Beauty-Webseiten wie „xoVain“ oder „Into The Gloss“ verbracht habt, obwohl ihr doch schon die ganze Zeit diesen einen Aufsatz von bell hooks über das neue Beyoncé-Album lesen wolltet und euch die Steuererklärung im Nacken sitzt? Seitdem Demonstrantinnen der sich damals formierenden Zweiten Frauenbewegung bei der Wahl zur Miss America im September 1968 in New Jersey BHs, High Heels, aber auch Kosmetikartikel wie falsche Wimpern oder Lippenstifte als Zeichen ihres Protests gegen das Schönheitsdiktat in eine Mülltonne warfen, hält sich der scheinbar unausrottbare Mythos der Büstenhalter verbrennenden Feministin – und das Vorurteil, dass Frauen sich nur aus Gefallsucht schminken würden.

Die Entnaturalisierung weiblicher Körper hin zu genderüberschreitender Cyborg-Ästhetik ist voll das Ding der Style-Koloumnistin Arabelle Sicardi © Arabelle Sicardi
Die Entnaturalisierung weiblicher Körper hin zu genderüberschreitender Cyborg-Ästhetik ist voll das Ding der Style-Koloumnistin Arabelle Sicardi © Arabelle Sicardi

Das mag in Teilen auch zutreffen, unterschlägt aber eine ganze Reihe von jungen, überwiegend im Netz aktiven Frauen und nicht-binären Personen (und teilweise auch Männern), für die Schminke mehr ist als nur ein weiteres Tool zur Selbstoptimierung des eigenen Geschlechts. Die im World Wide Web kursierenden Hashtags #feministmakeupping oder #powerofmakeup zeigen zum Beispiel die transformative und befreiende Kraft, die Make-up besitzen kann.

So etwa die zwanzigjährige YouTube-Sensation Shalom Blac. Sie hat sich mithilfe von Schminke die Deutungshoheit über ihr Gesicht zurückgeholt, nachdem dieses durch einen schweren Brandunfall in ihrer Kindheit entstellt wurde. Die Initiatorin des ersten Hashtags, Arabelle Sicardi, bloggt hingegen für „Buzzfeed“, „Refinery 29“ oder „Rookie Mag“ häufig aus queerfeministischer Sicht über Mode- und Beauty-Themen abseits des Mainstreams (zum Beispiel über die Beauty-Routinen chronisch Kranker). Ihre häufig mit feministischer Make-up-Theorie versehenen, klugen Beobachtungen zur Kosmetik­industrie sind witzig, informativ und lehrreich geschrieben. Außerdem hebt sich die 23-jährige Wahl-New-Yorkerin allein schon mit ihren bunt gefärbten Haaren und schrillen Looks optisch wohltuend von der gleichförmigen Blogger*innen-Masse und gängigen Schönheitsidealen ab. Dazu Sicardi im „Rookie Mag“-Interview: „Make-up hilft mir, Mythen über mich zu erschaffen. Es hilft mir, mich auf genau die Weise auszudrücken, die m…