Von Ana Maria Michel

Da ist Marko, der zugedröhnt eine Tankstelle überfällt. Nora, die auf eine Party geht, auf der alle nackt sind. Oder Eve, deren Exfreund Markus nicht mehr derselbe ist, nachdem er eine Frau von einer Brücke springen sah. „Wir ohne Wal“ erzählt nicht eine, sondern mindestens zehn Geschichten. Jedes Kapitel des Episodenromans der österreichischen Autorin Birgit Birnbacher widmet sich dabei einer anderen Figur.

 © Eva Maria Marazek
© Eva Maria Marazek

Sie alle, mitten in ihren Zwanzigern, leben in einer Kleinstadt und wissen nicht wohin. Manche von ihnen hängen gemeinsam in einem Imbiss ab oder auf dem Sprungturm des Freibads, das schon geschlossen ist, obwohl es eigentlich noch warm genug wäre. Sie sind an diesen Orten einsam, obwohl sie nicht alleine sind.

Gesprochen wird über Unverfängliches. „Wir ohne Wal“ spielt deshalb vor allem in den Köpfen der Figuren. Der mehrstimmige Roman führt die Leser*innen in unterschiedliche Gedankenwelten, man taucht ein in Bewusstseinsströme, deren Rhythmus eine*n mitreißt. Der Strom der Gedanken ist nah dran an der Alltagssprache, dadurch wirkt er dynamisch, kreist dabei aber meist um sich selbst. Etwas auszusprechen bedeutet dagegen sich festzulegen. „Unser Leben erzählt sich in Sätzen. Gibt es diese Sätze, gehört zu unserem Leben, was sie sagen“, denkt Marika. Sie ist Künstlerin und hat eine andere Form gefunden, um sich auszudrücken. Ihre Installation, ein zwanzig Meter langer Wal, der aus einer mit Luft gefüllten Plane besteht, schwebt über der Stadt. Für manche bedeutet er Trost, weil er immer da ist. Doch dieser Wal hat auch etwas Bedrückendes, weil er für all das Unausgesprochene steht.

Die Figuren sind Beobachter*innen ihres eigenen Lebens. Sie stehen neben sich, fühlen sich abwesend. Manchmal probieren sie, diese Leere aufzufüllen, mit Drogen, krassen Aktionen oder einer Liebe. „Ich muss aushalten, dass in meinen Gefühlen womöglich eine Falschinformation steckt. Dass nicht Marko mir fehlt, sondern jemand anders gemeint ist, ich. Dass ich gemeint bin.“ Das denkt Sanela, die auf Marko gewartet hat, während der sich über sein Leben klar werden musste.

Birgit Birnbacher „Wir ohne Wal“
Jung und Jung, 168 S., 18 Euro

Die Gedanken der Figuren drehen sich darum, was sie den anderen eigentlich gerne sagen würden. Was gewesen ist, was gesagt wurde. Vielleicht auch um das, was gleich oder in den nächsten Stunden sein wird. Sie verbeißen sich in Themen, ohne dabei je bei sich selbst anzukommen. „Kleinstadthirnwichsen“ nennt Sanna das und erklärt es mit dem „enormen Pensum an Tagesfreizeit“, das hier alle haben. Sannas Worte haben etwas von einer ironischen Brechung. Der Roman nimmt sich – im Gegensatz zu der Mehrzahl seiner Figuren – auf eine sympathische Weise nicht allzu ernst.

„Der einzige Weg, wirklich etwas zu unternehmen, ist die Kunst“, sagt die Lyrikerin Sue zu Nora. Einfach mal machen quasi. Auch Birgit Birnbacher findet mit ihrem Debütroman „Wir ohne Wal“ eine Ausdrucksform, indem sie einen besonderen Sound schafft. Nicht Nora, Marko oder gar der Wal, sondern genau dieser Sound wird damit zur eigentlichen Hauptfigur des Romans.