Von Alina Sonnefeld

Es war eine Nacht, die sich nicht so sehr unterschied von vielen anderen Nächten, die bereits in meiner Vergangenheit lagen. Die Musik war gut – die fremden Hände überall. Ich habe schon andere Dinge erlebt. Zungen, die sich zwischen meine Lippen zwängen, Arme, die mich hochheben und festhalten, und Lippen, die Worte formen, die ich nicht wiedergeben möchte. Oft sagte ich mir, dass das normal sei. Dass die einfach nur ein wenig zu betrunken sind. Es ja weiter nichts Schlimmes passiert ist.

© Shutterstock/hxdbzxy
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Nur irgendetwas war anders in dieser Nacht der Hände, das mich dazu gebracht hat, einen Strich zu ziehen. Ich verließ die drückende Masse der Leiber, um zehn Euro, eine Stunde Lebenszeit und grundlegend falsche Vorstellungen, was Normalität bedeutet, ärmer.

Seitdem versuchte ich, größtmöglichen Abstand zwischen mich und solche Situationen zu bringen. Ich filterte Veranstaltungen akribisch und ging nur zu Abenden, von denen ich das geringstmögliche Maß an sexueller Belästigung erwartete – und das ausschließlich in männlicher Begleitung.

Ich begann, mit anderen über meine Erfahrungen zu sprechen, und mit jedem ausgetauschten bedrückenden Erlebnis wurde mein Blick ein wenig klarer. Nicht jede hat bereits sexuelle Belästigung erlebt, aber fast jede, mit der ich sprach.

Im Zuge einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte wurden 2014 42.000 Frauen in den EU-Mitgliedsstaaten zu Gewalt gegen Frauen befragt. 55 Prozent von ihnen gaben an, sexuelle Belästigung erlebt zu haben.

Die Hälfte ist nicht fast jede, wie ich es erlebt habe – aber 55 Prozent sind 55 Prozent zu viel. Man kann nicht objektiv bewerten, wann für jeden Menschen sexuelle Belästigung beginnt. Ihr Anfang ist jedoch immer gekennzeichnet durch eine Grenzüberschreitung, eine Grenzüberschreitung der emotionalen und körperlichen Barrieren eines jeden Menschen.

Aus den gesammelten Erfahrungen meines Freundeskreises zog ich, mit Unterstützung von sechs anderen Mädchen, die Konsequenz und schrieb einen Offenen Brief. Darin forderte ich die Clubs meiner Heimatstadt auf, sich gegen sexuelle Belästigung einzusetzen. Der Brief ging zunächst an die Clubs und später an die Lokalpresse. Einmal in den Medien eskalierte die Situation schnurstracks.

Dass so viel Aufhebens darum gemacht wird, dass junge Frauen öffentlich kundtun, dass sie nicht gegen ihren Willen angefasst werden wollen, hätte keine von uns gedacht. Aber es veranschaulicht gut, wie wichtig unser Brief war.

Neben Hasskommentaren und beleidigenden Nachrichten erreichte uns auch viel Anerkennung. Ein Vertreter der Stadt organisierte innerhalb eines Tages ein Treffen mit Mitarbeiter*innen verschiedener Clubs. Gemeinsam arbeiten wir nun an konkreten Änderungen.

Das ist nicht leicht. Und wir werden auch kein Allheilmittel finden. Vielleicht schaffen wir es aber, ein paar Menschen zu sensibilisieren. Gelohnt hätte sich der Aufstand schon allein dafür. Sexuelle Belästigung ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Mich hat sie nur in der Clubkultur und nicht am Arbeitsplatz getroffen, weil ich schlichtweg noch keinen Arbeitsplatz habe, sondern noch mein Abi mache.

Wenn es nach mir ginge, könnte es das mit der sexuellen Belästigung für mich jetzt aber auch schon gewesen sein. Ich habe keine Lust, in zehn Jahren in meinem Büro die gleichen Probleme vorfinden zu müssen wie jetzt nachts um drei bei Elektrobeats.

Wäre es nicht vielleicht möglich, dass die Gesellschaft sich weiter- und nicht zurück entwickeln könnte? Ich weiß, es sieht schlecht aus mit all dem Rechtspopulismus und so, aber ein wenig träumen wird wohl doch noch erlaubt sein.

Alina Sonnefeld ist 19 Jahre alt  und macht (noch) ihr Abi im beschaulichen Jena. Neben der Schule arbeitete sie in den letzten Jahren, von Fotoausstellung bis zu Kurzfilm, an den verschiedensten kreativen Projekten und gibt sich im Moment intensiver dem Schreiben hin. Gemeinsam mit sechs anderen jungen Frauen veröffentlichte sie Anfang des Jahres einen offenen Brief, der auf sexualisierte Gewalt in Clubs aufmerksam macht.

Rosarotes Träumen von quietschbunten Welten, in denen meine große Tochter im Sommer bauchfrei tanzen gehen kann, ohne dass sie ungefragt an der Taille gepackt wird, und mein Sohn sich mit Nagellack in die Schule traut. Das ging mir durch den Kopf, als ich  erleichtert meine Nase in die stechend klare Nachtluft hielt und den Club und die drängenden Hände hinter mir ließ.