Von Brigitte Theißl

Süchtig nach „World of Warcraft“, Face­book und Instagram? Verschiedene wissenschaftliche Studien legen nahe, dass Internetabhängigkeit eine ernst zu nehmende Suchterkrankung ist. In Deutschland soll fast jede*r zehnte Jugendliche das Netz zu intensiv und in problematischer Weise nutzen, ein Prozent süchtig sein.

Jungen trainieren mit Computerspielen ihre Motorik-Skills, Mädchen mit Selfies und Drama ihren Narzissmus. © Shutterstock/Dragana Gordic

Worauf sich die Sucht konkret bezieht, daran scheiden sich die Geister – beziehungsweise auch die Geschlechter: Jungs verlieren sich in den Welten der Onlinerollenspiele, Mädchen verbringen besonders viel Zeit in sozialen Netzwerken wie Facebook, so die Studienergebnisse. Oder wie es eine Journalistin der „Welt“ formuliert: „Mädchen wollen quatschen, Jungs schießen“. Und da beginnt sie, die Welt der Geschlechterstereotype, der Ab- und Bewer­tungen des Onlineverhaltens.

Wenn Mädchen sich in einem sozialen Netzwerk be­wegen, sind sie verzweifelt auf der Suche nach Bestätigung, kultivieren ihren Narzissmus mit täglichem Selfie und unterhalten sich im Facebook-Chat mit Freundinnen über den neuesten Schwarm. Jungs hingegen messen sich mit den Geschlechtsgenossen und präzisieren ihre (virtuellen) kriegerischen Fähigkeiten. Wie durch Gaming die Konzentration geschärft oder motorische Skills trainiert werden, damit warten Forscher*innen sogleich auf. Bei Mädchenkram wird erst gar nicht danach gefragt – Beziehungen unter Mädchen und Frauen können schließlich nicht produktiv sein!

Brigitte Theißl ist Journalistin und Redakteurin des Magazins „an.schläge“. Sie bloggt auf denkwerkstattblog.net.

Aber auch klassenspezifische Diagnosen geistern durch die Medien. Zwar wird die sogenannte „digitale Demenz“ von zahlreichen Wissenschaftler*innen als Mythos bezeichnet, ein deutscher Hirnforscher behauptet aber hartnäckig, zu frühe Internetnutzung mache „dumm“. In einem Dokumentarfilm über die umstrittene Diagnose pries ein US-amerikanischer Psychologe die Vorzüge des guten alten Buchs und der Handschrift – und wetterte gegen die „Tablet-Kids“. Diese würden heute nicht mehr vor den Fernseher gesetzt, ihnen würde von den verantwortungslosen Eltern einfach ein Smartphone oder ein Tablet in die Hand gedrückt werden.

Vermutlich wird es nicht mehr lange dauern, bis sich Offline-Sein als gutbürgerliches Distinktionsmerkmal etabliert hat: Papa packt in der Straßenbahn bewusst die gedruckte „FAZ“ aus und reicht Waldorf-Sohnemann die Pocket-Schiefertafel. Darauf ließe sich doch prima ein Schlachtplan für das nächste Kriegsspiel entwerfen.

Der Text erschien zuerst in Missy  Magazine 02/17.