Von Tove Tovesson

„Sie ist radikal und skrupellos. Trotzdem hat Marine Le Pen gute Chancen, den ersten Wahlgang zu gewinnen. Warum thematisiert niemand, dass es eine Frau ist, die es so weit gebracht hat?„, heißt es auf „Zeit Online“. Darauf habe ich ungefähr 780 Antworten. Ein Auszug: Es wird nie nicht „thematisiert“, dass (und wenn ja, ob wirklich!) eine öffentliche Person eine Frau ist. Wo nur möglich, wird es gegen Frauen verwendet, dass sie Frauen sind.

© Tine Fetz

Warum eigentlich „trotzdem“? Bezieht sich die Verwunderung darauf, dass eine radikale und skrupellose Person eine Wahl gewinnen könnte, oder darauf, dass sie eine Frau ist, die Eigenschaften hat, die in der Vorstellung von „Zeit“-Redakteur*innen so gar nicht fraulich sind? Oder darauf, dass doch allgemein bekannt ist, dass die Gesellschaft Frauen verachtet? Über politische Inhalte möchte die „Zeit“ offenbar nicht reden, trotzdem sei gesagt: Radikal und skrupellos passt anscheinend ganz gut zur Stimmung der wählenden Bevölkerung. Sie ist radikal und skrupellos.

Wie kann es nun sein, dass es eine Frau in diesem Kontext so weit bringt? Oder auch: Kann man das nicht irgendwie gegen Frauen verwenden, dass so ein besonders verkommenes Exemplar …?

Es gibt sie, die Feministinnen, deren Ziel „die Hälfte der Macht“ oder eine ähnlich unkritische Version von Gleichberechtigung ist. Es ist ein vergleichsweise unbedrohlicher Feminismus für das Patriarchat und lohnt sich vor allem für Frauen, denen es schon relativ gut geht, also deren einziges strukturelles Problem ist, dass sie Frauen sind. Aber auch für Männer springt etwas dabei heraus, im Scheinwerferlicht den Kuchen mit einer Frau zu teilen, nämlich der Schein der Progressivität. Eine Frau mit Macht und ohne tatsächlich progressive Agenda ist ein neoliberaler Deflektorschild. Denn ist Ungerechtigkeit nicht ein kleines bisschen weniger schlimm, wenn eine Frau sie propagiert? Und kann diese Frau sich deshalb sogar für eine Weile ein bisschen mehr Scheußlichkeit erlauben?

Eine extreme rechte Frau bedient somit nicht nur rechte, sondern auch neoliberale Ideologie, denn der Neoliberalismus hat kein Problem mit Macht und Gewalt an sich. Nur selbst zu den Verlierer*innen zu gehören, das wäre ungut. Diese müssen dann nur noch mit Pseudogerechtigkeit mundtot gemacht werden, damit der Laden unbehelligt läuft. Seht her, Frauen als Staatsoberhäupter, Personen of Color als Cops, sogar mit Hijab und Dastar, Pepsi gegen Polizeigewalt. Gleichberechtigung, Diversity!

„Viele Liberale hoffen, dass Ivanka Trump mäßigend auf ihren Vater wirkt. Nun trifft sie auf die Kanzlerin. Aber was, wenn die Tochter den US-Präsidenten nicht korrigiert – sondern seine Komplizin ist?“, fragt sich ebenfalls ein Mensch bei „Zeit Online“. Das mit der Komplizenschaft ist schnell abgehandelt, wenn man sich erinnert, dass Trump nicht nur von weißen Männern, sondern ebenso von weißen Frauen zum Präsidenten gemacht wurde. Ist es nicht sogar besonders aufschlussreich und belastend, dass weiße Frauen in dieser Wahl ihren Rassismus über Frauenrechte gestellt haben? Scheiß auf körperliche Selbstbestimmung. Frauen sind keine passiven Bystander im Rassismus, sondern davon entweder positiv oder negativ betroffen. Die Unschuldsvermutung gegen weiße Frauen ist ebenso unberechtigt wie hartnäckig.

Töchter zu haben hält Männer auch nicht davon ab, widerliche Macker zu sein. Der Zauber der Immunität durch Proximität wird aber gern bemüht. Eine erwachsene Frau, die sich neben jemanden wie Trump stellt, sollte in ihrer Haltung ernst genommen werden, statt ignorant weibliche Tugenden der Mäßigung auf sie zu projizieren.

Konservative verstehen und unterstützen Frauen als Hostessen für den gleichen Scheiß, den alte Männer langsam nicht mehr alleine abziehen können. Frauen an der Macht sind kein begrüßenswerter Anbruch einer neuen Zeit, sondern alter Lack in neuen Schläuchen.