Von Josephine Apraku

„What is love?
Baby don’t hurt me
Don’t hurt me
No more“
– Haddaway

Ich finde ja offen gestanden nicht, dass ich eine ausgeklügelte Argumentation dafür brauche, weshalb ich gemeinsam mit fünf anderen Frauen den Black-Lives-Matter-Monat in Berlin in diesem Jahr organisiere. Rassismus ist in Deutschland lebendig und wohlauf. Mehr Begründung braucht es nicht.

Rassismus vergiftet zwischenmenschliche Beziehungen ©Kollage/Missy Magazine

Als Schwarze Frau in einer weißen Mehrheitsgesellschaft kann ich inzwischen gebetsmühlenartig wiedergeben, dass Rassismus individuell, institutionell und strukturell auf allen Ebenen des menschlichen Erfahrens und Seins wirksam ist. Das ist zugegebenermaßen mein Job: Ich gebe z. B. Workshops zu rassismuskritischer Unterrichtsgestaltung. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich selten das Gefühl, dass, wer auch immer teilnimmt, versteht, wie ernst ich es meine, wenn ich sage, dass Rassismus IMMER relevant ist.

Ich kann nicht einmal mit meinem besten Freund an einem Sonntagnachmittag ein Eis essen gehen, ohne dass hinter uns eine Person steht, die einen widerwärtigen Kommentar abgibt. Diese Worte der Verbitterung, aus Genervtheit oder irgendeiner anderen Emotion heraus, die rassistische Äußerungen genauso wenig rechtfertigen, gelten an diesem Tag nicht zwingend mir. Dennoch meinen sie mich und in diesem Fall auch meinen besten Freund, einen Schwarzen Deutschen, immer mit.

Wenn ich aber von IMMER spreche, dann meine ich nicht die Beschimpfungen von fremden Personen oder die Frage danach, warum ich so gut Deutsch spreche. Wenn ich von IMMER spreche, dann denke ich vor allem an die Situationen, in denen ich mich besonders verletzlich mache – meine freiwilligen zwischenmenschlichen Beziehungen. Heimtückische Saat, die Rassismus ist, infiziert sie auch diese mir so wichtigen Verbindungen. Genau das ist es, was so schmerzhaft ist: Ich bin, Schwarze Menschen sind vor rassistischer Dehumanisierung selbst in den für sie intimsten Beziehungen nicht sicher.

Einmal mehr gewahr wurde mir das, als mein Freund und ich uns im letzten Jahr nach knapp einem Jahrzehnt trennten. Als weißer heterosexueller cis Mann muss er sich nicht dem ganzen widerwärtigen Scheiß aussetzen, der für mich trauriger Standard ist. Seine Menschlichkeit wird in einer Welt, die auf die Bedürfnisse von weißen ableisierten hetero cis Männern ausgelegt ist, nicht infrage gestellt.

Meine Menschlichkeit hingegen schon. Ich werde exotisiert und meine Eigenschaften werden regelmäßig meinem Schwarz-Sein zugeschrieben. Dazu gehört, auf der Suche nach neuen sexuellen und romantischen Bekanntschaften z. B., dass ich hypersexualisiert werde und nicht als die komplexe Persönlichkeit wahrgenommen werde, die ich bin. Dazu gehört auch, dass es regelmäßig weiße Männer gibt, die meinen, ich wäre ein tolle heimliche Liebschaft – neben ihrer weißen Freundin versteht sich. Das Eingehen einer neuen zwischenmenschlichen Beziehung bedeutet für mich, dass ich meine Menschlichkeit beweisen und verteidigen muss.

Klar, auch in dem knappen Jahrzehnt meiner letzten Beziehung war Rassismus auf unterschiedliche Weise ein Thema: Ich erinnere mich noch lebhaft an eine unserer ersten Auseinandersetzungen. Es war Frühling und seine Familie wollte gemeinsam mit uns in das Haus der Eltern einer Freundin nach Namibia fahren. Unser Streit bestand im Wesentlichen darin, dass ich irgendwas wie, „Hast du ’ne Macke, Digga?! Ich fahr doch nicht mit dir und deiner Familie ausgerechnet nach Namibia und lasse mich da dann noch von Schwarzen bedienen, während deine Familie irgendnen Scheiß ‚arbeitsscheue Afrikaner‘ labert!“, woraufhin er fassungslos etwas wie, „Ich verstehe nicht, warum du das jetzt boykottieren musst“, sagte. Ein paar Jahre, und kaum freiwillige Beschäftigung mit dem Thema Rassismus, später schlage ich ihm vor, dass er das Buch „Deutschland Schwarz Weiß“ von Noah Sow lesen könnte. Seine Begeisterung über das Buch, die zugängliche Art, in der es geschrieben ist, hält kaum mehr als 30 Seiten an. Danach staubt es mit den Monaten auf dem Nachttisch auf seiner Seite unseres gemeinsamen Bettes ein. Unsere Streits brechen mit der dicker werdenden Staubschicht nicht ab.

Ich weiß, dass seinem mangelnden Interesse an meiner alltäglichen Realität keine „böse“ Absicht vorausging. Ich weiß auch, dass sich diese Erlebnisse nicht an meinem Exfreund festmachen und dass ich mit diesen Erfahrungen nicht alleine bin. Vor ein paar Tagen erst lachten eine Freundin von mir – eine Schwarze Deutsche – und ich resigniert über die Erkenntnis, dass sie genau den gleichen Streit um das Buch von Noah Sow mit ihrem Freund hatte. Wir beide sind uns einig: Verletzend sind weniger die Dinge, die Menschen bösartig im Vorübergehen nuscheln. Verletzend ist, wenn die Person, mit der du zusammen bist, dich permanent nicht mitdenkt. Das ist ignorant, das ist schmerzlich, das ist bitter. Mir stellt sich da schon die Frage, was „ich liebe dich“ eigentlich heißt, wenn der Mensch, der es sagt, im Grunde keinen Fick auf deine Lebensrealität gibt.

Ich kann meine Rassismuserfahrungen nicht auf „weiß“ übersetzen, nicht für andere erfahrbar machen. Rassismuskritik, und Diskriminierungskritik generell, ist für mich letztlich Arbeit an meiner eigenen Beziehungsfähigkeit. Wir existieren nicht im Vakuum. Rassistische Machtstrukturen sind immer präsent. Sie auszublenden bedeutet mehr Entmenschlichung.

Die Eröffnungsveranstaltung des BLM-Monats 2017 findet am 02. Juni ab 20 Uhr in der Galerie SAVVY Contemporary in der Plantagenstraße 31 in 13347 Berlin statt.

Ja, der Grundsatz Black Lives Matter bezieht sich auf institutionalisierte rassistische Gewalt. Genauso relevant ist der Grundsatz Black Lives Matter für meinen Alltag, meine alltäglichen zwischenmenschlichen Interaktionen. Wenn ich also auf der Demo, am 24. Juni, mit meinen Freund*innen Hand in Hand durch die sommerlichen Straßen Berlins laufe und „Black Lives Matter“ rufe, dann meine ich mein alltägliches Leben mit.