Von Lisa Klinkenberg

Es fängt lustig an. Ein bourgeoiser Regisseur (Julian Radlmaier spielt sich selbst) – irgendwo zwischen der Berufung zum sozialkritischen Filmemacher, Erwerbslosigkeit und der pubertären Suche nach „Mädchen“ – muss zur Apfelernte. Ganz Medienprofi verkauft Julian seinen Freunden und Kolleginnen die Zwangsmaßnahme vom Jobcenter als „neues Projekt“: Er wolle recherchieren für seinen nächsten Film, ein kommunistisches Märchen. Was hier als weitere Neurose eines Hipsters eingeführt wird, erweist sich im Laufe des Films als dessen zentrales Motiv. Welche Träume sind in einer Gesellschaft verfügbar, die von Arbeitszwang, Selbstoptimierungswahn und bürgerlichen Individualtugenden geprägt ist?

© Grandfilm

Dass diese Frage nicht einfach abstrakt ist, bezeugen auch Sancho und Hong, die sich nach Museumsjob und Flaschensammeln ebenfalls in der Apfelplantage namens „Oklahoma“ einfinden. Mit Camille, einer gleichgültig-linken Amerikanerin, die er beeindrucken will, fährt Julian aufs Land. In der Zwickmühle zwischen a) den anderen Apfelpflücker*innen, die ihn nicht so recht leiden können (weil er nervt und langsam ist und eine Brille hat), b) seiner absoluten Bocklosigkeit gegenüber Apfelpflücken generell, c) dem Dilemma, Camille gegenüber die Fassade des Rechercheprojekts aufrechtzuerhalten, und d) dem heimlichen Ziel der Ernte, nämlich Camille zu verführen, fällt Julian alles zunehmend vom Kopf auf die Füße.

Schön ist das anzuschauen, wie der Salonkommunist Julian nicht nur an der Arbeitsrealität scheitert, sondern sich auch vor der Verwirklichung seiner „radikalen Forderungen“ fürchtet. Auch im Märchen ist nicht alles schön. Die Guten treffen auf die Bösen. Die Erntetruppe wird von der fiesen Gutsherrin mit neoliberalen Tricks zur Mehrarbeit gedrängt, während der Vorarbeiter es genießt, die Arbeiter*innen gegeneinander auszuspielen. Leider verpasst es der Film hier, zum wirklichen Märchen zu werden, in dem die Arbeiter*innen aus eigener Kraft die Ausbeuter*innen plattmachen. So bleibt nur eine glückliche Fügung, durch die die Gutsherrin vorerst außer Kraft gesetzt ist.

Doch während die Arbeiter*innen (abgesehen von dem an mangelnder revolutionärer Vorstellungskraft leidenden Julian) das Ende ihrer Knechtschaft feiern, ist der Quasi-Umsturz schon wieder vorbei: Julian wird wieder Regisseur, die meisten arbeiten weiter und die ehemaligen Museumsarbeiter und Camille folgen dem Ruf eines Mönchs. Vöglein haben diesem nämlich gezwitschert, dass in Italien schon Revolution ist! An der Grenze wird der Mönch, in Italien die beiden Exkollegen aus dem Museum verhaftet. Jetzt der Abspann – huch, wir befinden uns also in einem Film! Dessen Regisseur, der mittlerweile erfolgreiche Julian, verwandelt sich nach der Premiere in einen Hund. Zum Schluss bleibt ihm, dem Mönch und Camille nichts anderes übrig, als zu versuchen, die beiden Pechvögel Sancho und Hong zu befreien.

So absurd die Handlung des Films klingen mag, so gut wird sie durch die von Radlmaier entwickelten Figuren zusammengehalten. Bloß gibt uns die Symbolik einige Rätsel auf: Wieso weiß ein Mönch von einer Revolution in Italien? Wieso wird der Nerv-Regisseur in einen Hund verwandelt? Hat er es einfach verdient, erniedrigt zu werden, oder gibt’s einen tieferen Sinn für diese Zauberei? Wir wissen es nicht, die Fantasie scheint die Handlung an manchen Stellen zu verschleiern, die Zeichen verbleiben im luftleeren Raum.

Dabei ist es eine der Errungenschaften des Films, wie leicht er mit historisch schwer beladenen politischen Begriffen wie Kommunismus, Kapital, Ausbeutung und Revolution umgeht. Und dass er sie tatsächlich ernst nimmt. Was den Film auch für einen feministischen Blick interessant macht, ist, wie selbstverständlich emanzipiert und klar die Frauenfiguren auftreten. Camille zum Beispiel hat ihren eigenen Kopf und lässt sich nicht lange von Julian an der Nase herumführen – geschweige denn, dass sie auf seine Flirtversuche eingeht. Eine Apfelpflückerin hält nach dem vermeintlichen Tod der Gutsherrin eine Brandrede darauf, dass nun die Dinge selbst in die Hand zu nehmen seien, und der Gutsherrin mit klarem Klassenstandpunkt kann eh keine*r was. Zudem wird Julians sexistisches „Mädchen-Hinterherschauen“ gnadenlos vorgeführt – auch von der Kamera: Wir sehen die im Film anwesenden Frauen nicht als Sexobjekte, er dagegen schon.

Dennoch: Die allermeisten Widersprüche bleiben nur angedeutet, wie z. B. in der Figur des schmierigen Vorarbeiters, der einerseits nach Fassbinder oder Volksbühne riecht, aber klarer Handlanger des Kapitals ist. Und sind die Figuren arm und haben deswegen kleine Rucksäcke, oder handelt es sich um „young urban internationals“, immer unterwegs zwischen den Hauptstädten der Welt, die kein Eigentum brauchen? Warum hinterlässt eine Woche Feldarbeit keine Flecken auf der Hipsterhose? Das alles ist leider ziemlich unscharf und ungenau. Keine Positionierung, am Ende doch irgendwie alles postmodern, meta. Allein der Humor vermag den Film vor seiner zur Leere gewordenen Fantasie zu retten.

„Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ (DE 2017)
Regie: Julian Radlmaier. Mit: Julian Radlmaier, Deragh Campbell, Kyung-Taek Lie, Beniamin Forti u. a., 99 Min., bereits im Kino

Der Regisseur wird im Film im Film gefragt, was man denn heute noch machen könne, um die Welt zu verändern, und er antwortet: Kunst, denn einzig das Reflektieren über den Zustand der Welt wäre noch möglich, alles andere gescheitert. Das ist natürlich zynisch und eine gezielte Spitze Radlmaiers gegen Filmemacher*innen, denen es zu mühsam ist, sich im Klassenkampf die Finger schmutzig zu machen. „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ deutet an, dass da Ideen in der Welt sind, die zu Veränderung auf dem Weg in die Selbstbestimmtheit taugen – aber wir können sie nicht greifen und damit scheitert der Film an seinen eigenen Ansprüchen. Er vertut die Chance, über seine eigene Kritik an bürgerlicher Kulturproduktion hinauszuweisen.