Von Christian Schmacht

Ich sage: „Oh Mann, ich hab eigentlich gar keinen Bock mehr auf Sex“ und sie sagt: „Wie willst du dann bitte in der queeren Szene überleben?“ Ich sage: „Als Sexworker geht es, da denken alle, man liebt Sex.“

Was hält uns zusammen, wenn wir mal nicht wild miteinander bumsen wollen? © Tine Fetz

1990 stand im Queer Nation Manifesto: „Every time we fuck, we win.“ Und: „An army of lovers cannot lose.“ 2017 wünscht sich Doloris Pralina Orgasma in der Anthologie „Beißreflexe“ die „tatsächliche Anwesenheit von flirtenden Homosexuellen, durchgeknallten Tunten, geilem Sex und schlichtweg all dem, was eine schwule Subkultur zu bieten hat“, die sie auf queeren Partys lustfeindlich unterdrückt sieht. Doloris erkennt nicht an, dass es sexualisierte Gewalt auf Partys gibt, und macht sich über Konzepte lustig, die mit dieser Gewalt sowie den Täter*innen, die sie ausüben, und jenen, die von ihr betroffen sind, umgehen wollen. Darüber wurde an anderer Stelle bereits geschrieben. Ich stolpere über ein zusätzliches Problem in ihrem reißerischen Text gegen Lustfeindlichkeit.

Sie ist in die Falle geraten, die Silvia Federici bereits 1975 in „Why sexuality is work“ beschrieben hatte:

„Wenig Spontaneität ist möglich, wenn das Timing, die Bedingungen und die Energie, die für die Liebe bereit stehen, jenseits unserer Kontrolle liegen. Nach einer Arbeitswoche sind unsere Körper und Gefühle taub, wir können sie nicht maschinengleich einschalten. () Unter anderem sind wir uns immer der Falschheit dieser Spontaneität bewusst. Egal wie viele Schreie, Seufzer und erotische Übungen wir im Bett machen, wir wissen, dass es nur ein Einschub ist und dass wir beide morgen wieder in unseren zivilisierten Kleidern stecken. () Je stärker uns bewusst wird, dass es sich um einen Einschub handelt, den uns der Rest des Tages oder der Woche vorenthalten wird, desto schwieriger wird es für uns, wenn wir uns in ‚Wilde‘ verwandeln wollen, die ‚Alles vergessen‘.“ (1)

Ficken soll den utopischen Raum jenseits unseres Alltags herstellen. Eines Alltags, der aus bezahlter und unbezahlter Arbeit besteht und uns oft mit Gewalt unsere Existenz am gesellschaftlichen Rand spüren lässt. In dieser Romantisierung von queerer Sexualität steckt die liberale Idee: Der richtige Sex im falschen führt zur Befreiung. Love wins!!
Sex ist Arbeit, nicht nur für jene Frauen der 1970er-Jahre, die sich in heterosexuellen Beziehungen mit Männern wiederfanden, die Federici beschreibt. Sex als Arbeit heißt, die Belastungen zu überbrücken, die wir in die sexuelle Begegnung mitbringen, und den Genuss und die Befriedigung der anderen Person herbeizuführen.
Sex ist Arbeit und entlohnte Sexarbeit ist mit der queeren Geschichte untrennbar verwoben. Viele queere Personen halten sich und dadurch auch ihre Community mit Sexwork am Leben. Manche begreifen bezahlten Sex an sich bereits als queer, da er der Vorstellung von Gratis-Sex innerhalb der heterosexuellen Ehe konträr zu sein scheint.

Gleichzeitig stellt der queere Sex, den wir unbezahlt haben, mehr her als unsere sexuelle Befriedigung. Er stellt ein Ich, ein Wir, eine queere Identität her.

Wenn Doloris ruft: Habt geilen, schwulen Sex! Dann ruft sie: Seid fickbar! Arbeitet für mich! Seid spontan, wild und durchgeknallt! Helft mir dabei, meinen Alltag zu vergessen! Denn auch ich bin belastet und will meinen Alltag, meine Arbeit, all meine Sorgen hinter mir lassen!

Wer keinen Bock hat und Arbeitsverweigerung betreibt, wirft Fragen auf. Zum Beispiel: Was hält uns zusammen, wenn wir mal nicht wild miteinander bumsen wollen? Was haben wir gemeinsam?

 

 

 

(1) Revolution at Point Zero: Housework, Reproduction, and Feminist Struggle, Silvia Federici, 2012, PM Press, S. 23f. „Little spontaneity is possible when the timing, conditions, and the amount of energy available for love, are out of our control. After a week of work our bodies and feelings are numb, and we cannot turn them on like machines. (…) Among other things, we are always aware of the falseness of this spontaneity. No matter how many screams, sighs, and erotic exercises we make in bed, we know that it is a parenthesis and tomorrow both of us will be back in our civilized clothes (…). The more we know that this is a parenthesis which the rest of the day or the week will deny, the more difficult it becomes for us to try to turn into ’savages‘ and ‚forget everything‘.“ (Übersetzung von mir)