Von Hannah-Marie Siemrozh

Wer in Irland ungewollt schwanger wird, hat in der Regel Pech gehabt – oder muss sich eine Abtreibungsreise leisten können. Aktivist*innen kämpfen nach etlichen Skandalen engagierter als je zuvor gegen diesen unhaltbaren Zustand.

©Matt Mackey/presseye.com

„Wir wollen Abtreibungen destigmatisieren und normalisieren.“ So erklärt Linda Kavanagh den Namen der irischen Kampagne Abortion Rights Campaign (ARC), für die sie als Spreche­ rin tätig ist. „Deswegen führen wir das Wort Abtreibung in unserem Kampagnennamen.“ Zum offenen Treffen der Initiative sind an ei­ nem lauen Maiabend um die zwanzig Menschen ins Outhouse, einem LGBTQ-Gasthaus im Zentrum Dublins, gekommen. Sie wollen sich informieren und für Abtreibungsrechte engagieren.

Denn wer in Irland oder Nordirland ungewollt schwanger ist, muss in den allermeisten Fällen die Insel verlassen, um legal ab­ treiben zu können. Und das, obwohl Nordirland zu Großbritannien gehört, wo seit 1967 der Schwangerschaftsabbruch bis zur 24. Woche unter bestimmten Auflagen legal ist. In der unabhängigen Republik Irland ist die Einschränkung von Abtreibungen hingegen Teil der Ver­fassung. Im achten Zusatzartikel, der 1983 durch ein Referendum be­schlossen wurde, wird der Schutz des Lebens der „Mutter“ – gemeint ist die schwangere Person – gleichgestellt mit dem des „ungeborenen Lebens“, dem Fötus.

Schon lange setzen sich in beiden Teilen der Insel Aktivist*innen für einen besseren und rechtmäßigen Zugang zu Abtreibungen ein. In den letzten Jahren hat sich der Protest jedoch intensiviert: Nachdem ein Todesfall nach einer verweigerten Abtreibung, eine erzwungene Geburt nach einer Vergewaltigung und tote Kinder in einem katho­lischen Schwesternheim, die zwischen 1925 und 1961 gestorben wa­ren, die irische Öffentlichkeit erschüttert hatten, setzten Pro­Choice­ Aktivist*innen die irische Regierung unter Druck, die restriktive Gesetzeslage endlich zu ändern. Die Bezeichnung Pro­Choice, engl. für Wahlmöglichkeit, fasst im angelsächsischen Sprachraum die soziale Bewegung derjenigen zusammen, die sich für die Legalisierung von Abtreibungen einsetzen. Die Forderung der gut vernetz­ten, kreativen Pro­Choice­Bewe­gung ist klar: In ganz Irland sollen Menschen die Möglichkeit haben, kostenlos, sicher und legal abtrei­ben zu können.

Jeden Monat kommen neue Interessierte zum offenen Tref­fen von ARC, doch „es könnten immer noch mehr sein“, meint Linda nach ihrer Präsentation. Einige der Zuhörer*innen, die zum ersten Mal hier sind, haben sich Arbeitsgruppen ange­schlossen und zum nächsten Treffen verabredet. Ob Fundrai­sing, Aktionsgruppe oder Mit­gliederbetreuung, in der Gras­wurzelorganisation können alle überall mitmachen. Linda sitzt am Besprechungstisch und erin­nert sich daran, wie alles anfing: 2012 ließ eine rechte Anti­Choice­ Gruppe riesige Plakate in Dub­lin aufhängen mit Sprüchen wie „Abtreibungen verletzen Frauen“ und blutigen Darstellungen von Föten. „Das hat viele Menschen, die selbst Abtreibungen hatten, sehr sauer gemacht – und auch viele, die keine hatten.“

©matt mackey/presseye.com

Geschätzt zwölf Personen verlassen Irland jeden Tag, um in Großbritannien und auf dem europäischen Festland legal ab­ treiben zu können. Unzählige weitere nutzen Medikamente, die sie heimlich aus dem Ausland beziehen müssen. Die Menschen, die heute Teil der Abtreibungs­rechtskampagne sind, hatten genug von dieser untragbaren Situa­tion. Einige von ihnen sind schon seit geraumer Zeit in diesem Feld aktiv, heute sind es viele junge Leute, die sich bei ARC engagieren. „Ich selbst war schon früher von meiner Einstellung her Pro Choice und bin zu Demos gegangen. Aber jetzt organisiere ich selbst mit und würde mich als Aktivistin bezeichnen“, so Kavanagh.

Ein paar Monate nach der Plakatkampagne der Abtreibungsgegner*innen rüttelte der Fall von Savita Halappanavar das Land und die internationalen Medien auf. Die Zahnärztin verstarb an Kompli­kationen während ihrer Schwangerschaft, nachdem ihr Gesuch auf eine Abtreibung von den verantwortlichen Mediziner*innen abgelehnt worden war. Zwar wäre der Fötus nach der Geburt nicht lebensfähig gewesen, aber weil es noch einen Herzschlag gab, weigerte sich das Krankenhaus, diesen abzu­treiben – und so das Leben der 31-Jährigen zu retten.

„Dann gab es den Fall von Miss Y., einer vergewaltigten Ge­flüchteten“, erzählt Linda weiter. Die Asylbewerberin war mit 18 Jahren nach Irland gekommen und wurde ungewollt schwan­ger. Wegen ihres Aufenthaltssta­tus konnte sie jedoch nicht nach England reisen, um die Schwan­gerschaft dort beenden zu las­ sen. Sie trat in den Hungerstreik und war erwiesenermaßen sui­zidgefährdet. Suizidgefahr ist – neben der physischen Gefähr­dung der schwangeren Person durch die Schwangerscha…