Von Nadine Schildhauer

Wie ein Phönix aus der Asche erhebt sich das zweite Album „Ash“ der beiden französisch-kubanischen Zwillingsschwestern Naomi und Lisa-Kaindé Díaz alias Ibeyi. Widmete sich deren Debüt „Ibeyi“ dem Tod ihres Vaters, dem bekannten Perkussionisten Miguel Angá Díaz (Teil des Buena Vista Social Club), und der ebenfalls verstorbenen älteren Schwester Yanira, schlägt „Ash“ eine Brücke zum Leben.

© David Uzochukwu

Während an ihrem sehr intimen Debütalbum als Einziger Richard Russell, Labelgründer von XL Recordings, mitwirkte, kooperierten Ibeyi diesmal gleich mit mehreren namenhaften Künstler*innen, darunter Kamasi Washington, der bereits an bahnbrechenden Alben wie „To Pimp A Butterfly“ von Kendrick Lamar und „You’re Dead“ von Flying Lotus mitwirkte und bei Ibeyi in der kämpferischen Hymne „Deathless“ Saxophon spielt. Zwischen schwelgenden Coming-of-Age-Songs wie „Away Away“ und melancholisch-minimalistischen Tracks wie „Waves“ finden sich auch feministische Hymnen, die ausformulieren, was im Intro bereits angedeutet wurde: Inmitten eines Summens und packenden Chorgesangs im Song „No Man Is Big Enough For My Arms“ sind Fragmente der mitreißenden Hampshire-Rede von Michelle Obama eingestreut, die sich gegen die misogynen Kommentare Trumps richtete. Immer wieder ertönt: „The measure of any society is how it treats its women and girls / I am here because of you / I am here because girls like you inspire me / Your story is my story.“

Das Herzstück von „Ash“ ist der Song „Transmission/Michaelion“, der in Zusammenarbeit mit Meshell Ndegeocello entstand, Wegbereiterin des Neo-Soul und eine der wichtigsten Ikonen queerer Women of Color der 1990er-Jahre. Hier werden gleich mehrere starke Frauen gefeatured: Das Zitat „He said I don’t know what the water wanted. It wanted to show you no one would come“ aus Claudia Rankines Buch „Citizen: An American Lyric“ (2014) verweist auf die verheerenden Folgen von Hurricane Katrina und die ausbleibende Hilfe der US-amerikanischen Regierung, was insbesondere Afroamerikaner*innen traf. Neben diesem Gedichtausschnitt liest die Mutter der beiden Zwillingsschwestern Maya Dagnino aus dem Tagebuch der mexikanischen Malerin Frida Kahlo (1907–1954) , die das Ich und den persönlichen Erfahrungshorizont in ihre feministische Kunst radikal einbezog. Auch die spanische Rapperin Mala Rodríguez ist mit von der Partie. So zollen Ibeyi ihren Vorbildern, Einflüssen und damit der Bandbreite von radikalen bis liberalen Feminist*innen Tribut. All das verwebt das Duo mit eigenen Lyrics, Yoruba-Gebeten, atmosphärischen Downtempo-Klangflächen und perkussionslastigem Rumba.

Ibeyi „Ash“ (XL Recordings/Beggars)
bereits erschienen

„Ash“ reiht sich in einen größeren Kontext von Konzeptalben ein, die in den letzten zwei Jahren veröffentlicht wurden und in ihrer Form unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie alle weichen von der Erfolgsformel der bloßen Hitsingle-Produktion ab. Dazu zählen „Lemonade“ von Beyoncé, die mit Gedichten und Textfragmenten von Chimamanda Ngozi Adichie und Warsan Shire arbeitete, „A Seat At The Table“ von Solange, die Zitate ihrer Eltern über Alltagsrassismus einflocht, oder Frank Oceans „Blonde“, der obskure Tonaufnahmen von Freunden mit minimalistischen Sounds verknüpfte. Auch A Tribe Called Quests Album „We Got It from Here … Thank You 4 Your Service“ gehört dazu, mit seinen Reflexionen über Gesellschaft und die klangliche Aufarbeitung von HipHop in all seinen Soundfacetten, sowie das sich stetig verändernde Streamalbum „The Life Of Pablo“ von Kanye West.

Doch keinesfalls handelt es sich bei Ibeyi um die redundante Fortsetzung eines Trends. Dafür hat das Duo viel zu viel zu sagen. So wartet es mit wortgewandt lyrischem Songwriting auf und bettet seine eigene Geschichte über Verlust, neues Leben und Kampfgeist in einen größeren gesellschaftlichen Kontext ein, zwischen Überlegungen übers Frausein, über alltäglichen Rassismus und Spiritualität.