Von Tove Tovesson

In der letzten Kolumne habe ich über Verschwörungsideologien als Catnip für Mansplainer geschrieben und diese als oft antisemitisch bezeichnet. Dazu möchte ich noch mal konkretisieren: Echsenmenschen, ein (symbolischer) Krake, der den Weltmarkt dirigiert, eine geheime Weltregierung, 9/11 als Inszenierung der US-Regierung, die „Protokolle der Weise von Zion“ – all das sind etablierte antisemitische Motive, die Verschwörungsideologien, nun beschleunigt durch das Internet, eifrig verbreiten. Natürlich gibt es aber auch Verschwörungsglauben in Bezug auf singuläre Ereignisse oder „die Welt“ ohne diese Bezüge. Auch gibt es, soweit mir bekannt ist, keinen Nachweis für eine statistische Korrelation von Geschlecht und Verschwörungsglauben, meine Einordnung von Verschwörungsideologie als männliches Phänomen resultiert aus meinem Eindruck von den Communitys, die sich aktiv insbesondere um rechtsoffene und antisemitische Verschwörungstheorien bilden und sie weiterentwickeln.

In voller Hingabe zur Esoterik, fernab von Realität und Politik © Tine Fetz

Es gibt verschiedene Erklärungsansätze für die Konjunktur von Verschwörungsglauben, darunter nimmt die naheliegende pathologisierende Rede von Paranoia allerdings einen geringen Stellenwert ein. Vielmehr ist es recht normal, in einer Welt, die aufklärerisch ständig entzaubert und gleichzeitig verkompliziert wird, in dreifach verstiegenen und dabei simplen Antworten, die noch gut und böse kennen, eine kurze Verschnaufpause einzulegen. Ein bisschen wie Religion, die ich nicht generell im Widerspruch zu linker Praxis sehe, sondern als legitimes Mittel, um klarzukommen. Schwierig wird es, wenn „Der Jude war’s“ mein Katechismus ist.

Auch wenn ich jetzt zu Esoterik überleite, möchte ich vorab sagen: Ich habe kein Problem mit Spiritualität. Viele Linke sehen Religiosität/Glaube und linke Emanzipation als unvereinbar; theoretisch kann ich diesem Gedanken zwar folgen, halte ihn jedoch spätestens in der Praxis für ignorant und (passenderweise) unbarmherzig. Ich habe den Fehler auch schon gemacht, anderen nichts unter Revolution durchgehen lassen zu wollen, aber Menschen müssen irgendwie bis dahin durchhalten. Außerdem ist Vorsicht geboten bei der Kritik an der Religiosität anderer, solange die eigene Weltsicht noch durchzogen ist von unreflektierter christlicher Doktrin, bloß ohne Gott. Was es hingegen immer und auch im Zusammenhang mit Religion zu kritisieren gilt, sind Rassismus, Sexismus, Antisemitismus usw.

Nun also zur Esoterik. Esoterik ist ein schwammiger Begriff für eine exklusive philosophisch-spirituelle Lehre, es gibt aber nicht die eine Esoterik. Nach meinem Verständnis ist dabei der je eigene innere „Erkenntnisweg“ zentral, bei dem das Individuum eine Art Ermächtigungsprozess durchläuft, in dem es seine Bestimmung erfährt. Begleitet und ermöglicht wird das durch aus verschiedenen Religionen und Kulturen zusammengeklau(b)te Riten, Praktiken und Heiligenfiguren. Bestimmung heißt, dass mein Leben von Beginn an entschieden ist, und nach manchen esoterischen Auffassungen: dass ich es mir (so) ausgesucht habe.

Diese Spielart von Karmalehre ist nicht inhärent rechts, in einer Welt, die so etwas wie die Shoa kennt, darf man an dieser Stelle aber schon mal scharf einatmen. Auch wenn es heißt, die innere Haltung bestimme, was einem äußerlich widerfahre (oder wie), braucht es eine gewisse gesellschaftliche Positionalität, um da keinen krassen Widerspruch zur gemachten und machbaren Erfahrung zu entdecken. Soweit ich weiß, versteht sich Esoterik als apolitisch, auch das muss ich mir aber erst mal leisten können und heißt in der Praxis dennoch nur, dass ich mich mit den Verlierer*innen entsolidarisiere und es mir in meiner Kommune gemütlich mache. Ich habe nichts gegen Gemütlichkeit oder Kommunen, im Gegenteil, aber es ist doch alarmierend, wenn in meiner Gemeinschaft überwiegend weiße cis Frauen aus bürgerlichen Kontexten auftreten.

Diese Anziehung weiß der Markt rund um Esoterik und „alternatives Wissen“ dann auch für sich zu nutzen und schlachtet beispielsweise Gesundheitsbewusstsein von Frauen ad absurdum aus. Entgiftungskuren, Homöopathie, Heilsteinbehandlungen, Bachblüten, Schüssler Salze, Jadesteine zum Beckenbodentraining, all das hat ernüchternde Bilanzen maximal im Bereich des Placeboeffekts, der natürlich nicht nichts ist, aber oft zu wenig. Doch das zu bemängeln kommt der Selbstdenunziation als verrohtem Klotz, der eben noch nicht bereit für Heilung ist, gleich. Eigenartigerweise spielt handfeste Naturheilkunde in diesem Sammelsurium an Heilsversprechen keine zentrale Rolle, obwohl von ihrem guten und feminin konnotierten Ruf die ganze „Alternativmedizin“ lebt.

Was die Heilerin einst zur „Hexe“ machte, war schlicht fehlende Aufklärung; die heutige Alternativmedizin operiert umgekehrt: Aufklärung ist unerwünscht, die Abgrenzung zur sog. Schulmedizin richtet sich explizit gegen Wissenschaftlichkeit. Auch das ist wenig schmeichelhaftes Geschlechtermarketing vor dem Hintergrund einer Esoterik, die Frauen biologistisch und essenzialisierend auf ihre wenig rationalen, gebärenden Körper und ihr liebes (aber bei Bedarf auch sexy) Wesen reduziert und diese Aspekte glorifiziert, um ihnen dann „Dinge für Frauen“ verkaufen zu können.

Die Verschränkung von Ideologie und Konsum ist in der Esoterik langfristig geregelt: Wenn ich glaube, dass alles vorbestimmt ist und schon so seine Richtigkeit hat, ich aus allem, was mir schräg vorkommt, nur etwas Bestimmtes lernen soll, und hinter all dem irgendwo sicher das Glück liegt, ist damit ein Modell geschaffen, das gerade so viel Bestätigung in der Welt findet, dass ich (sofern meine gesellschaftliche Positionalität es zulässt) am Ball bleibe, aber nie ankomme. Das kann man meinetwegen so machen und für irgendwelchen Quatsch geben wir alle unser Geld aus, das nach Essen und Miete gegebenenfalls noch übrig bleibt. Sorgen machen mir aber die Eskalation von Wissenschaftsfeindlichkeit, mit der Esoterik bereits dort (Irr-)Glauben generiert, wo er noch gar nicht notwendig wäre, und die politischen Implikationen eines wörtlichen Glaubens an Prädestination und Karma. Auch die grenzenlose Verwurstung nicht-westlicher Religionen und Kulturelemente in westlicher Esoterik wirkt, wenn es am Ende um nicht weniger, aber auch nicht mehr als das persönliche Glück, die persönliche Erleuchtung geht, bizarr bis popkolonialistisch.