Von Yori Gagarim

Gebe ich „non-binary“ in eine Suchmaschine ein, poppen bei mir vor allem Bilder von jungen Menschen auf, die non-binary, enby, NB oder auf Deutsch nicht-binär oder Enbie sind oder diese Begriffe für sich benutzen.

Daran mag es auch liegen, dass viele den Eindruck haben, dass es sich bei nicht-binär um etwas Neues, Jugendkulturelles oder einen Trend handle. Lediglich der Begriff ist in Bezug auf Gender relativ neu. Das, was er beschreibt, gibt es ebenso lange, wie es das westlich-christliche Zwei-Geschlechter-System gibt: den Mythos von Mann und Frau, die einander ausschließen, sich aber als Gegenteile „ergänzen“. Diese beiden Geschlechter gelten als lebenslänglich stabil und sind mehr oder weniger an bestimmte Körper, Rollen, Eigenschaften und Verhaltensweisen geknüpft. Aber es existieren auch Menschen, die eben nicht (genau) in diese Stereotypen passen. Sei es, weil sie es nicht wollen oder können oder weil das Konzept von Geschlecht für sie an sich nicht greift.

Neu ist auch die 2014 von Kye Rowan vorgeschlagene Non-binary-Pride-Flagge, die das Ganze mit ihren vier Farben recht gut zusammenfasst: Gelb steht für Menschen mit Geschlechtern außerhalb von und ohne Beziehung zu binären Geschlechterkonzepten; Weiß steht für Menschen mit vielen oder allen Geschlechtern; Lila steht für Menschen zwischen weiblich und männlich, mit Anteilen von beiden oder sich verändernden, wechselnden oder einzigartigen Geschlechtern und Schwarz steht für Menschen ganz ohne Geschlecht.

Nicht-binär ist sowohl ein Sammelbegriff als auch eine Bezeichnung für eine eigenständige Identität. Er kann nur über einen Teil einer Identität Auskunft geben oder eine politische Position oder Lebensrealität beschreiben. Nicht-binäre Menschen können trans oder cis, inter oder dyadisch sein. Sie können weiblich, männlich, beides, weder-noch, vieles, mehreres, femme, agender, neutrois oder etwas ganz anderes sein. Sie können feminin, maskulin, queer und politisch sein. Sie können unterschiedliche, neue oder alte, mehrere, wechselnde oder keine Pronomen benutzen. Sie können die unterschiedlichsten Körper, Transitionsbedürfnisse oder -erfahrungen haben oder nichts von alldem.

Ähnlich wie trans und queer ist nicht-binär eine Selbstbezeichnung. Als solche ist sie nicht sichtbar, und keine*r hat ein Recht auf (ehrliche) Auskunft darüber.

Was oft vergessen wird, ist die kolonialrassistische Tradition des Zwei-Geschlechter-Systems (siehe dazu etwa B. Binaohan in „Decolonizing Trans/Gender 101“). Denn in nicht-westlich-christlichen Gesellschaften gab und gibt es andere Geschlechtersysteme, die mehr als zwei bzw. andere Geschlechter kannten – die Baklâ auf den Philippinen, die Māhū auf Hawaii oder die Two Spirit in Nordamerika, um nur einige wenige zu nennen. Im Zuge des Kolonialismus wurden diese Systeme gewaltvoll zerstört. Damit wurde nicht-binären und nicht-weißen Personen ein untergeordneter Platz in der Gesellschaft zugeordnet. Diese Diskriminierung besteht weltweit fort. Darum wünsche ich mir von dieser und für diese Generation von nicht-binären Menschen eine anti/kontrarassistische Solidarität und ein Herausfordern der femininitätsfeindlichen Realitäten. Ich wünsche mir keinen Kampf um einen Platz im Kapitalismus, sondern das Überwinden dessen. Nur im Zusammenleben, das nicht auf Unterdrückung aufbaut, werden wir alle Platz haben.

Noch mal zurück zum Vorwurf, dies sei bloß ein Trend: Selbst wenn nicht-binär ein solcher wäre, fände ich ihn gut. Besser als der Trend von Heterosexismus und Cisnormativität wäre es allemal!

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/17.