Von Eva-Maria Tepest

Die in Israel geborene und in Berlin lebende Performerin und Bühnen- und Kostümbildnerin Moran Sanderovich schafft in ihren Skulpturen und Performances moderne, mythologische und alternative Körper, die normative Konzepte hinterfragen. Aktuell wirkt sie am Berliner Gorki Theater bei „Die Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden“ mit. Das Stück, basierend auf einem Text der Autorin Sivan Ben Yishai und übersetzt sowie inszeniert von Sasha Marianna Salzmann, wird im Rahmen der Radikalen Jüdischen Kulturtage uraufgeführt. Die von Salzmann und Max Czollek kuratierte Reihe macht sich vom 02. bis 12. November in Form von Theaterstücken, Performances, Filmen, Konzerten und Lesungen auf die Suche nach einer „neuen jüdischen Leitkultur“. Eva-Maria Tepest hat Moran Sanderovich für Missy zum Gespräch getroffen.

Postersujet zu „Die Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden“. Photographer: Dina Schweiger / Artist: Moran Sanderovich

Moran Sanderovich: Was denkst du, worum es beim Poster zum Stück geht?

Es sieht aus wie eine Attacke.
Das passt. Meine Performances und die Texte Sivans sollen schockieren, das Groteske hervorholen und es in etwas Poetisches verwandeln – sie macht das mit Worten, ich mit Textur, Material, Stofflichkeit. Meine Arbeit entsteht aus der körperlichen Erfahrung heraus. Sie kommt eher aus der Tiefe offener Wunden. Ich will Macht und Stärke in diesen Wunden finden. Das macht für mich auch weibliche Erfahrung aus. Das Queere in meiner Arbeit ist genau diese Macht und Schönheit der Verletzung. Wenn ein Körper nicht perfekt ist, ist er für so viele Möglichkeiten offen. Von genau dieser Macht, aus der Viktimisierung heraus eine alternative Realität, neue Körper zu kreieren, sind viele Menschen irritiert, besonders Männer.

Was hat es mit dieser Irritation auf sich?
Ich will, dass Menschen sich unwohl fühlen. Ich möchte immer etwas kreieren, vor dem sie Angst haben. Diese Wunde, von der ich gesprochen habe, ist lebendig – sie schaut die Leute an und redet mit ihnen! Selbst die kultiviertesten Personen werden verfolgt von einer Art Leerstelle in ihrem Hinterkopf. Wenn sie in mein Studio kommen, fühlen sie sich unwohl. Und dann spielen sie es runter: Diese Kunst sei zu formlos, unkontrolliert usw. Irritation hat Macht, weil sie uns und unsere Leerstellen widerspiegelt. Wir alle sind der weiße Mann, um den es in Sivans Stück geht – auch wenn es überwiegend buchstäblich weiße Männer sind, die in dieser Welt den Ton angeben.

Kunstwerk von Moran Sanderovich © Stephanie Ballantine

Im Stück geht es um eine israelische Künstlerin, deren Dankesrede anlässlich einer Kunstpreisverleihung vor einem kultivierten deutschen Publikum sich in eine Tirade über die Fallen ihres Erfolgs als jüdisch-israelische Künstlerin in Deutschland wandelt. Es geht also auch um Identitätspolitik.
Bei den Radikalen Jüdischen Kulturtagen geht es eigentlich gerade darum, Menschen nicht in Schubladen zu stecken – dabei wird das Label „jüdisch“ verwendet, weil es so aufs Maul ist. Das Ganze stellt die Identitätsfrage auf den Kopf. In Deutschland wird das „Andere“ – die geflüchtete Person, die Jüdin, die Schwarze Frau – in einen Käfig gesteckt und ausgestellt. Deutschlands Beziehungen zu israelischen Künstler*innen sind so widersprüchlich: Die meisten kommen her, weil sie es in Israel aufgrund der aktuellen politischen Lage nicht aushalten, und werden dann in Deutschland gefördert, weil sie jüdisch sind. Gleichzeitig brauchen viele Künstler*innen das Geld und man ist schlichtweg gefangen.
Es liegt eine Ironie daran, dass du einfach nur Künstler*in sein willst, aber, besonders in Deutschland, in erster Linie jüdische*r Künstler*in bist. Natürlich bin ich in Bezug auf diese Frage zerrissen. Einerseits will ich z. B. nicht immer die jüdische Frau sein, die Kunst macht, andererseits will ich rausschreien: Hey, ich bin eine Frau, und ich mach das jetzt! Es ist auch ein Privileg zu sagen: Lasst mal aufhören, Menschen in Schubladen zu packen. Manche Menschen müssen die Dinge schwarz-weiß sehen, weil das ihre Realität ist und sie z. B. permanent mit Rassismus konfrontiert sind.

„Die Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden“
im Rahmen der Radikalen Jüdischen Kulturtage
02. und 03. November, 20.30 Uhr, Studio Я, Gorki Theater

Max Czollek hatte in der Ankündigung der Radikalen Jüdischen Kulturtage gefordert: „In Zeiten, in denen die radikale Rechte mit wehenden Fahnen in die Parlamente einzieht, braucht es auch eine Kunst, die ihre Fahnen hisst.“
Meine Arbeit bezieht sich zum größten Teil auf Israel/Palästina und die gewaltvolle Situation dort. Es gibt natürlich Verbindungen, besonders in Bezug auf die Geschichte des Holocaust in Europa und diesen zionistischen Wunsch, möglichst europäisch zu sein, was ja eine sehr weiße Idee war. Ich arbeite hier, aber denke meistens über „dort“ nach. Manchmal stelle ich mir ein jüdisch-israelisches Publikum vor, die Zuschauer*innen hier lesen meine Arbeiten aber ganz anders. Die Kreatur, die ich fürs Gorki schaffe, werden Menschen in Berlin sehr anders interpretieren, als das ein Publikum in Tel Aviv tun würde. Hier wird es so wahrgenommen, als ob ich Antisemitismus thematisiere, die Karikatur eines Juden. Und das ist gut: Wenn die Menschen hier meine Figur mit Antisemitismus in Verbindung bringen, sehen sie eine Spiegelung ihrer selbst.