Von Eva Tepest

Zu Hause in Leipzig erreichte Vanja am Mittwochmorgen der Anruf einer befreundeten Anwältin: Dem Antrag, den Vanja zusammen mit der Gruppe „Dritte Option“ eingereicht hatte, wurde vom Bundesverfassungsgericht stattgegeben. Die Richter*innen in Karlsruhe entschieden, dass die bisherige, seit 2013 gültige Regelung des deutschen Personenstandsgesetzes, nach der sich Menschen in Deutschland nur als männlich oder weiblich registrieren oder den Eintrag ganz streichen lassen konnten, diskriminierend ist.

Zumindest im Personenstand könnte die Zweigeschlechtlichkeit ab Ende 2018 ins Bröckeln kommen. ©Kathrin Tschirner

Jetzt steht fest: Bis Ende 2018 muss das Personenstandsgesetz dahingehend geändert werden, dass entweder eine dritte, positive Bezeichnung für „Personen, deren Geschlechtsentwicklung gegenüber einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsentwicklung Varianten aufweist und die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen“ geschaffen wird oder die Geschlechtsangabe ganz aufgehoben wird.

Debattiert werden etwa „inter/divers“ oder „divers“. Auch von dieser konkreten Regelung abgesehen ist das Urteil des Gerichts „das Beste, was uns passieren konnte“, berichtet Vanja, den*die ich in einem Café im hippen Leipziger Osten treffe: „Es wurde nicht, wie das lange Zeit in Bezug auf die Ehe für alle geschah, bloß entschieden: ‚Eigentlich müsste es das geben‘, sondern eine klare Frist gesetzt.“ Das hindere die Politik daran, die Umsetzung des Beschlusses hinauszuzögern, und unterlaufe eine träge Parteipolitik, die in Bezug auf Geschlechterfragen in Deutschland immer konservativ agiere, erklärt Vanja: „Natürlich gibt es jetzt Politiker*innen, die sagen, das Urteil sei gut und wichtig, aber von sich aus haben sie uns die letzten Jahre nicht unterstützt. Aus deren Perspektive gibt es einfach zu wenig Leute, die sie damit als Wählerschaft abgreifen können.“ Das Gericht fällte ein wegweisendes Urteil im richtigen gesellschaftlichen Moment. Denn in Zeiten der Mobilmachung von (Queer-)Feminist*innen auf der einen und den Antifeminist*innen aller Lager auf der anderen Seite bezieht es über die Änderung des Personenstandsgesetzes hinaus Position: „Die Richter*innen haben in ihrem Urteil die Möglichkeit aufgezeichnet, den Geschlechtseintrag für alle zu streichen – ja, unbedingt!“

Im Falle eines dritten Geschlechtseintrags pochen Vanja und seine*ihre Mitstreiter*innen darauf, dass die Gesetzesänderung alle betroffenen Personenkreise (nicht-binäre inter und nicht-binäre trans) Menschen einbeziehen müsse – und zwar unabhängig von der biologischen Konstitution.

Vanjas Geschichte ist auch ein queeres Märchen. Über vier Jahre hatten er*sie und das Team von „Dritte Option“ zusammengearbeitet: hartnäckig, fokussiert und mit realpolitischem Drive. Für Vanja war der Ausgangspunkt dabei die Auseinandersetzung mit seiner*ihrer nicht-binären Biografie. Nachdem er*sie angefangen hatte, Testosteron zu nehmen, rief die Bezeichnung „weiblich“ immer mehr Irritationen hervor. Mit der Frage konfrontiert, den Eintrag in „männlich“ zu ändern oder die Irritationen auszuhalten, entschied sich Vanja für die dritte Option: politische Aktion. Male? Female? Fuck you! In der queerfeministischen Szene fand Vanja Mitstreiter*innen.

Nachdem die zwischen sieben und acht Personen umfassende und quer über Deutschland verteilte Truppe von „Dritte Option“ sich gefunden hatte, reichte Vanja den ersten Antrag auf Änderung seines*ihren Personenstands beim Standesamt in Gehrden ein. Die ersten zwei Jahre beschäftigte sich die Gruppe neben dem Gerichtsprozess über mehrere Instanzen mit der Aufklärungsarbeit der eigenen Peers: „Vor zwei Jahren herrschte in der deutschen feministischen Szene noch völliges Unwissen über Trans- und Interbelange“, so Vanja.

In Bezug auf Trans habe sich das inzwischen massiv geändert, durch in Deutschland Aktive, aber auch popkulturelle Beiträge wie Jill Soloways Hitserie „Transparent“. Interthematiken stellten aber lange weiterhin eine Leerstelle dar, findet Vanja: „In dem Sinne haben wir zur richtigen Zeit eine Bewegung angestoßen und mitgetragen.“ Vanja und Co veranstalteten Infotage, sammelten Gelder und Unterstützer*innen und reichten schließlich, zusammen mit feministischen Jurist*innen, einen ellenhohen Antragsstapel in Karlsruhe ein. Der Rest ist theirstory.

Die Geschichte ist nicht nur in Bezug auf ihr Ergebnis relevant, sondern zeigt, was passiert, wenn eine feste Personengruppe an einem Thema dranbleibt. Denn die in linken Kreisen verbreitete Praxis, an allen Themen gleichzeitig politisch arbeiten zu wollen, schnelllebig zu agieren und aufzugeben, wenn es mal eine Durststrecke gibt, findet Vanja zwar verständlich, aber problematisch. Er*sie hat sich durchgebissen, trotz der emotionalen Belastung, vieler Widerstände, der finanziellen Hürden – nicht zuletzt dank der Unterstützung, die ihm*ihr zuteilwurde, wie er*sie betont: „Ich hab schon manchmal gedacht, du läufst seit vier Jahren mit dem Kopf gegen die Wand und plötzlich hat die Wand doch ein Loch. So richtig glauben oder 100-prozentig begriffen hab ich das noch nicht.“

Vanja fühlt sich wie im Rausch, stolz, übernächtigt und glücklich. Das will er*sie sich von der Hate Speech nicht nehmen lassen, die ihm*ihr, wie vielen anderen, vom antifeministischen Backlash entgegenschlägt. Die Konjunktur der Frage, wie wir als Gesellschaft Geschlechterfragen gestalten wollen, ist zweischneidig. Die Schere zwischen einem geradezu avantgardistischen Urteil des höchsten deutschen Gerichts und dem in den Sozialen Medien verbreiteten Hass trennt Welten. Dass in vielen linken und linksliberalen Medien in Bezug auf das Karlsruher Urteil die Revolution der Geschlechterordnung herbeigeschrieben wurde, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Rechtslage in queerfeministischer Hinsicht lange Zeit miserabel war (siehe das späte Urteil zur Ehe für alle), im deutschen Bundestag nur 30,7 Prozent Frauen vertreten sind und Neue Rechte, Identitäre und AfD gegen alles hetzen, was sie als fremd empfinden.

Das Urteil ist ein Grund zur Freude, aber der Kampf geht weiter. Auch für Vanja und seine*ihre Mitstreiter*innen: Sie denken bereits über neue Projekte nach. Besonders wichtig ist Vanja das Verbot von OPs an intersexuellen Kindern: „Das passiert in der Medizin trotz gegenteiliger Behauptungen immer noch, obwohl keinerlei medizinische Notwendigkeit besteht und es nachweislich zu Traumata führt.“

Auch die Pränataldiagnostik ist Vanja ein wichtiges Anliegen. Denn dass bei Embryonen bestimmte Abweichungen als sogenannte Behinderungen, darunter auch Intersexualität, festgestellt werden und viele Menschen, die vorher ein Kind haben wollten, sich dann gegen die Austragung dieses Kindes entscheiden, findet er*sie falsch: „Es gab einige negative Entwicklungen, auch wenn ich es gleichzeitig wichtig halte, die feministische Position zu vertreten, dass die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch aus persönlichen Gründen nicht infrage gestellt werden darf.“

Die Bereiche Reproduktion und Elternschaft sollten laut Vanja ganz oben auf der queerfeministischen Tagesordnung stehen. „Wir brauchen offene Elternschaftskonzepte, die auch mehr als zwei Personen umfassen können, die Elternschaft von trans und inter Personen anerkennen und nicht so sehr auf biologischen Vorstellungen davon fußen, wie Eltern zu sein haben“, fordert er*sie. Der Kampf für rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Emanzipation geht weiter.