Interview von Jule Govrin

Die Berliner Buchmesse Queeres Verlegen bekam kurz vor ihrem Stattfinden am 18. November heftigen Gegenwind. Anlass war der im Querverlag erschienene Sammelband „Beißreflexe – Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten“. Die Veranstalterinnen der Messe hatten der Verlegerin Ilona Bubeck bereits im August in einer Mail erklärt, warum sie das Buch nicht präsentieren möchten. In ihrer öffentlichen Antwort Ende Oktober in der „Siegessäule“ bezichtigte diese dann Queeres Verlegen der Zensur – gar des „stalinistischen Dogmatismus“ – und sagte ihre Teilnahme an der Veranstaltung ab. Dem Boykott schlossen sich die Verlage Männerschwarm und Krug & Schadenberg an. Einige Medien skandalisierten hitzig die Ablehnung des Buches seitens der Veranstalterinnen. Inmitten der „Zensur“-Empörung blieb die Position des Orga-Teams bislang unbeachtet – das Missy Magazine fragt nach.

© Queeres Verlegen

Ihr seid ja in den letzten zwei Wochen ordentlich unter Beschuss geraten. Wie habt Ihr die mediale Kritik an euch erlebt?
QV: Zuerst haben wir uns über den Umgangston geärgert. Er zeigt uns, dass medial aufgebauschte, harsche Angriffe eben kein Debattenangebot sind, sondern die Konflikte in den queeren Communitys schüren und verhärten. Es hat sich damit für uns auch bestätigt, welche Form des Austauschs wir mit der Veranstaltung nicht unterstützen wollen. In einigen Artikeln wird betont, dass wir als Messe die Aufgabe hätten, eine neutrale Plattform für den gleichberechtigten Austausch zwischen Verlagen, Autor*innen und Publikum zu bieten. Doch die Annahme, dass es einen solchen Raum überhaupt gäbe, entspricht nicht der Wirklichkeit. Das zeigt sich auch an dem medialen Interesse, das von unserer Entscheidung gegen das Buch ausgelöst wurde, und dem gleichzeitigen Desinteresse an unserem eigentlichen Programm. Wir haben aber auch eine Menge positiver Rückmeldungen zu unserer Position bekommen.

Viele regen sich auf, weil das Ausladen von „Beißreflexe“ für sie einer Zensur gleichkommt.
Es ist interessant, dass in diesem Zusammenhang der Begriff der „Zensur“ gänzlich unhinterfragt wiedergekäut wird; war das doch in den vergangenen Jahren vornehmlich ein rechtspopulistischer Vorwurf an Politik und Medien. Eigentlich beschreibt das Wort ein restriktives Eingreifen von oben, doch wir befinden uns schlichtweg nicht in so einer institutionellen Machtposition. Die Frage, worin die gesellschaftliche Aufgabe einer Messe besteht, haben wir in diesem Jahr mit unserer Entscheidung anders beantwortet als die Frankfurter Buchmesse. Grundsätzlich halten wir die Frage jedoch nicht für abschließend geklärt.

Über eure Gründe ist bisher wenig bekannt. Weshalb habt ihr euch im Sommer dafür entschieden, ausgerechnet ein so stark diskutiertes Buch aus eurem Programm auszuschließen?
Uns ging es vor allem um eine Absage an unsolidarische, undifferenzierte und respektlose Formen von Kritik. Die Phrase von der „Intoleranz der Toleranten“ schützt eben nicht davor, von Veranstaltungen ausgeladen zu werden – es ist zu einfach, so die These vom Sprechverbot belegen zu wollen. Eine Szenekritik, die sich im derzeitigen politischen Klima mit dominanten Diskursen verbündet, drängt diskriminierte Menschen unter Beifall noch weiter an den gesellschaftlichen Rand und delegitimiert deren Sprechen und Inhalte. Da haben Kuratierende durchaus die Aufgabe, sich zu verhalten und andere Räume zu öffnen. Dass das im Ergebnis unterschiedlich aussehen kann, ist klar. In unserem Fall geben wir sechs – in nebenberuflicher, kollektiver, politischer Arbeit – der Messe eine Gestalt. Wir stellen jedoch nicht die Bühne für Projekte, deren Ziel die Abwertung ebendieses queerfeministischen Engagements ist.

Wo liegen eure Schwerpunkte? Welche Themen und Texte sind euch wichtig?
Queeres Verlegen fokussiert auf kleine, engagierte Projekte – auch weltweit –, die sich um eine Verbreitung queerer Kunst, Politik und Literatur bemühen. Uns interessieren nicht nur die fertigen Bücher, sondern auch die verlegerische Arbeit selbst. Was und wie publizieren wir? Was lesen wir und für wen schreiben wir? Wir wollen solche Fragen und Projekte fördern und Interessierten Lust machen, selbst zu publizieren. Menschen, die schreiben, lektorieren, übersetzen und lesen, die sonst kaum Aufmerksamkeit erhalten, können sich hier darüber austauschen, was für sie queeres Verlegen in einem intersektionalen Sinne, auch in Bezug auf Arbeitsprozesse, bedeutet.

Was erwartet uns denn im diesjährigen Programm?
Die ganztägige Veranstaltung besteht wieder aus drei Säulen: Lesungen, Stände und Gesprächsprogramm. Auftakt bilden eine Vernetzungsrunde zu verlegerischen Arbeitsmodellen und ein Lesungsprogramm für Kinder. Später werden diverse Sachbücher, Kurzgeschichten, Gedichte und Comics vorgestellt. Zudem haben wir zwei Aktivist*innen von Kaos GL aus der Türkei eingeladen, die über mediale Bilder und die aktuelle Situation der queeren Bewegung angesichts der Entlassungspolitik der Universitäten sprechen. Zwei weitere aktivistische Publizist*innen reisen mit ihren Büchern aus Südafrika an und sprechen über die Bedeutung queeren Verlegens für die Stärkung von schwulen, lesbischen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen. In diesem Jahr ist neu, dass viele Veranstaltungen mit Dolmetschung in Gebärdensprache stattfinden. Wir freuen uns auf erneute und neue Begegnungen in einem wohlwollenden Raum des Austauschs. Das genaue aktuelle Programm findet ihr hier.