untitled from „Isn’t it Love?“ series, 2016, Ceren Saner ©

Interview Valerie-Siba Rousparast

Früher fotografierte Ceren Saner ihre Familie und versuchte, durch Fotos ihrem verstorbenen Vater näherzukommen. Inzwischen fotografiert sie in Istanbul für ihre Fotoserie „Isn’t it Love?“ Freund*innen auf queeren Partys. Mit dieser Serie ist sie in Kollaboration mit dem 7LettersCollective auf #isntitlovethetour in Deutschland und begleitet ihre Bilder mit Lecture Performances über queeres Leben in der Türkei. In Berlin, ihrem derzeitigen Wohnort, erlebt sie alltägliche Kämpfe neu und hält sie für ihre neue Arbeit „#Insidethering“ fotografisch fest. Sie macht sichtbar, was sich im Verborgenen abspielt. Im Interview erzählt sie vom Erinnern, von der Suche nach sich selbst und von ihrer Heldin: ihrer Mutter.

Welche Rolle spielen Fotos in deinem Leben?
Mein Vater starb, als ich drei Jahre alt war. Ich habe also keine wirklichen Erinnerungen an ihn. Schon bevor ich mit der Fotografie begann, versuchte ich, diese Person durch Fotos zu begreifen. Das war alles, was ich von ihm hatte. Erst durch Fotos von ihm und dann durch die Fotos, die er selbst angefertigt hatte. Für mich war das immer ein Weg, um meine Wurzeln zu verstehen, diese verlorenen und versteckten Figuren aus meiner Familie. Ich habe auch über meinen Onkel einen Film gemacht. Fotografieren ist nicht mal ein Werkzeug, es ist ein Teil von mir. Ich mache das unbewusst.

Wie gehst du vor, um das Vertrauen deiner Gegenüber zu gewinnen?
Die meisten Menschen, mit denen ich arbeite, wissen schon, was ich mache. Ich frage erst nach ihrem Konsens und mache dann Fotos von ihnen, für die sie posen. Die würde ich niemals benutzen, ich mache sie nur, damit sie sich wohlfühlen. Wenn sie vergessen, dass ich die Kamera habe, mache ich die eigentlichen Bilder.

So hast du es geschafft, in Istanbul Freund*innen auf privaten Partys zu fotografieren, und einen intimen Einblick in die queerfeministische Szene Istanbuls gezeichnet. Wie hast du diese Zeit erlebt?
Das ist eine lange Geschichte.

Wir haben Zeit …
Es gab da eine TV-Sendung in der Türkei, sie handelt von einer geheimen Liebesgeschichte. Die Party wurde nach der Sendung benannt und alle verstanden die Referenz. Der Grund, warum ich mein Fotoprojekt „Isn’t it Love“ nannte, ist, weil das eine Frage ist, die ich mir im Anschluss an die Partys gestellt habe. Als ich die Partys erlebte, war ich so beeindruckt von der Atmosphäre. Ich hinterfragte zu der Zeit gerade meine Sexualität, die Art, wie wir über Liebe sprechen. Ich merkte, ich muss das nicht definieren, es ist einfach Liebe. Ganz unabhängig von Gender.

untitled from „Isn’t it Love?“ series, 2014, Ceren Saner ©

Man sieht auf den Fotos nie Gesichter, wolltest du die Feiernden so schützen?
Das Event kann als queer gelesen werden, manche bezeichnen sich als gay, andere nicht. Aber es wäre ein Problem, die Gesichter zu zeigen. Ich möchte ihre Privatsphäre bewahren. Ich interessiere mich allerdings sehr für Gesten und Handbewegungen. Wenn ich die Hände einer Person betrachte, erfahre ich mehr über sie, als wenn ich ihr ins Gesicht sehe.

Ich machte Fotos von diesem sehr intimen Moment mit Langzeitbelichtungen, um einfach nur die Bewegungen zu zeigen. Ich wollte etwas Fließendes zeigen und nichts Starres, das Licht, die Farben und mehr von diesem Moment.

Wie empfindest du die Szene dort?
Ich identifiziere mich als queer Femme und ich beschreibe meine sexuelle Orientierung auch als queer, weil ich keine genderspezifischen Begriffe benutzen möchte, mir ist egal, welche Genitalien jemand hat. Und ich finde, die ganze Szene ist sehr offen, sehr präsent. Es war gerade das 25. Jubiläum der Pride Marches dieses Jahr. Die Szene ist nicht schwul oder lesbisch gespalten wie hier und außerdem sehr jung. Die Bewegung ist auch eng verknüpft mit den armenischen und kurdischen Kämpfen. Während meiner Tour in Deutschland hingegen erlebte ich dieses eigenartige Publikum. Es kommt mir so alt vor! Es sind meistens weiße cis Männer, die meine Talks besuchen.

Wo wir bei Publikum sind – ist die Sichtbarmachung queerer Kämpfe ein Anliegen?
Ich habe keine Agenda bei meiner Arbeit. Ich lasse lieber meine Arbeiten für sich sprechen. Einmal war ich mit einer trans Aktivistin in einem feministischen Safe Space und während wir uns unterhielten, wurde der Pride March attackiert. Sie fasste das gut zusammen: „Erst haben sie uns beleidigt, dann haben sie sich über uns lustig gemacht und jetzt greifen sie uns an.“ Dieses Gefühl teile ich. Wenn wir nicht auf die Straßen gehen können, finden wir andere Wege, um uns sichtbar zu machen.

Ceren Saners Arbeiten werden vom 02.–05. Dezember im Rahmen einer Gruppenausstellung in einem besetzten Haus in Mailand gezeigt. Mehr Infos gibt es hier.

untitled from #insidethering series, 2016, Ceren Saner ©

Dein neuestes Projekt „#insidethering“ beschäftigt sich mit dir in deiner Wahlheimat Berlin. Wie erlebst du die Stadt?
Als ich letzten November nach Deutschland gezogen bin, habe ich wie immer viele Fotos von meinem Alltag gemacht. Ich teilte sie auf Instagram und gab ihnen einen Hashtag, um sie zu überblicken. „#insidethering“ ist eine Referenz an die Ringbahn und an einen Boxring. Denn jeder Tag hier ist ein Kampf für mich und ich weiß nicht genau wieso.

Immer, wenn ich ein paar Bilder gemacht habe, schaue ich zurück und erkenne darin etwas. Hier sah ich Leben und Tod, Leben und Tod im Wechsel. Die Bilder sind wie eine emotionale Karte von meinem Leben, die Fotos sind bei instagram auch an den Orten markiert, an denen sie entstanden sind.

untitled from „#insidethering series“, analog, 2017, Ceren Saner ©

Diese Kämpfe, wodurch werden sie verursacht?
Ich lebe „on the edge“, an der Grenze der Ringbahn und generell. Ich habe finanziell zu kämpfen, ich habe emotional zu kämpfen. Es ist verdammt hart, dich als Künstlerin über Wasser zu halten. Als Fotografin aus der Türkei umso mehr. Und das in einem Viertel, in dem diese deutsch-türkische Community so stark ist. Das ist noch ein ganz anderer Kampf. Ich spreche nicht mal mit den Leuten im Späti auf Türkisch, weil ich mich so unwohl fühle. Mit dem Gedanken, dass sie wüssten, dass eine türkische queere Frau in ihrer Nachbarschaft wohnt, und wie sie damit umgehen würden.

untitled from „#insidethering“ series, photo booth self portrait, analog, 2017, Ceren Saner ©

Ist die Differenz zwischen älterer und jüngerer türkischer Diaspora in Deutschland für dich deutlich zu spüren?
Ja, ich fühle mich nicht dazugehörig zu der frühreren Diaspora. Es gibt da eine konservative Pro-Erdogan-Gemeinschaft. Es ist sehr politisch, das gerade jetzt zu sagen: Es gibt diese Paranoia, dass du jederzeit verfolgt wirst. Dazu musst du nicht unbedingt eine wichtige Person sein. Ich habe das Gefühl, es gibt hier eine Testgruppe für Little Turkey in Deutschland, wie eine Fokusgruppe. Die jüngere Diaspora besteht eher aus Intellektuellen.

Kommst du selbst aus einem künstlerischen Umfeld?
Ich wurde in Istanbul geboren und großgezogen. Ich hatte eine Großtante, die Musik macht und malt, aber ich wurde nicht in einem künstlerischen Umfeld erzogen. Meine Mutter ist eine extraordinäre Hausfrau. Sie hat es geschafft, mir immer ein gutes Leben zu bieten mit dem Geld, das ihr zur Verfügung stand, nachdem wir meinen Vater früh verloren hatten. Sie war immer wie eine Freundin für mich. Sie ermöglichte mir, das zu erleben, was ich erleben wollte.

untitled from „Can’an“ series, analog, 50 x 74 cm, 2015, Ceren Saner ©

Deine Mutter war auch schon Teil deiner fotografischen Arbeit, in der Serie „Can’an“.
Das ist eine andere lange Geschichte. Als ich diese Vaterfigur verloren habe und in der Fotografie wiederfand, kreierte ich diesen künstlichen Held in meinem Kopf. Irgendwann realisierte ich, dass ich diese wirkliche Heldin in meinem Leben habe. Sie hat Fehler und Macken, aber sie ist echt, ehrlich und man kann sie berühren und spüren und sie ist sehr offen. Sie färbt sich die Haare immer selbst. Bislang hatte dabei immer meine Schwester geholfen, aber sie war ausgezogen, also brauchte sie eines Tages meine Hilfe. Ich hatte die Kamera meines Vaters dabei, sie war gerade erst repariert worden und ich benutzte sie zum ersten Mal. Indem ich meine Mutter mit ihr fotografierte, schuf ich eine Verbindung zwischen dem Selbstkreierten und der wahrhaftigen Heldin. Sie liebt das Rampenlicht, die Aufmerksamkeit! Sie hat diesen starken femininen Vibe. So realisierte ich diese feminine Stärke, die ich direkt vor meiner Nase hatte. Nach kurzer Zeit kam dieses Geräusch aus der Kamera und ich verstand, dass ich gerade einen ganzen Film verknipst hatte. Mir lief eine Träne runter, ich bin so eine hoffnungslose Romantikerin! Ich wusste nicht mal, dass ich das laut sagte: „Das war das erste Mal, dass mein Vater und ich dich gemeinsam sehen.“ Sie blickte zu mir und sagte „Ach, du bist verrückt.“ Dann haben wir das einfach weggetanzt.