Von Monika Raic

Ein Vogel zerschellt an der Frontscheibe des Reisebusses. Mit der zerborstenen Scheibe kann der Bus nicht weiterfahren – vom Unglück, das die Handlung von „Señora Teresas Aufbruch in ein neues Leben“ (Originaltitel „La nova del desierto“) ins Rollen bringt, sehen wir allerdings nichts. Statt der blutigen Unfallszene mit dem toten Tier nähert sich die erste Einstellung des Films aus der Vogelperspektive der Gruppe, die den Bus verlassen hat und durch die Wüste zum Wallfahrtsort der Difunta Correa läuft.

© ARSENAL Filmverleih

Der Sage nach starb Deolinda Correa, die später zu Difunta Correa wurde, als sie versuchte, mit ihrem Neugeborenen durch die Wüste zu ihrem Mann zu gelangen. Weil sie kein Wasser mit sich trug, verdurstete sie, während ihr Kind, das ihre Muttermilch trank, von Gauchos gefunden wurde und überlebte. Am Wallfahrtsort der verehrten Deolinda beginnt Teresas (Paulina García) neues Leben. Nach über zwanzig Jahren als Dienstmädchen bei einer wohlhabenden Familie in Buenos Aires wird sie gekündigt und zur entfernten Verwandtschaft ins noch entferntere San Juan geschickt.

Der Unfall unterbricht ihre Reise, und nachdem sie ihre Tasche im Bus des fahrenden Händlers namens El Gringo (Claudio Rissi) vergessen hat, beginnt die Zäsur, in der wir Teresas Durchkreuzung der Wüste begleiten. Sie macht sich zunächst auf die Suche nach dem fremden Mann, und als sie ihn, nicht aber ihre Tasche in seinem Bus findet, beginnt ihr gemeinsamer Roadtrip durch das wüste, vorandine Hochland Nordargentiniens.

Zwischen dem Kanarienvogel des Hauses in Buenos Aires, dem Frontscheibenvogel, der Difunta Correa und der Weite der Wüste erzählen die Regisseurinnen Cecilia Atán und Valeria Pivato in ihrem Regiedebüt einen Ausschnitt aus Teresas Leben, deren Kennzeichen die vollkommene Aufgabe von Individualität ist. Die sensible Fotografie navigiert durch eine Vielzahl von Filmsymbolen, die die argentinische Wüste umkreisen.

„Señora Teresas Aufbruch in ein neues Leben“ (AR/CL 2017)
Regie: Cecilia Atán, Valeria Pivato. Mit: Paulina Garcia, Claudio Rissi u. a.,
78 Min., Kinostart: 30.11.

Die Wüste weist nicht nur auf die Geschichte der südamerikanischen Nation, sondern dient auch als Display für die nie zugelassenen Wünsche der grausam einsamen Protagonistin. Josef von Sternberg ließ Marlene Dietrich an Ende von „Morocco“ (1930) mit der Wüste verschmelzen. Bei Atán und Pivato hingegen verlässt Teresa nach einer Liebesnacht mit einem Lächeln das Bett des „Gringo“ und geht aus dem Film. In welche Richtung sie geht, erfahren wir nicht. Aber Teresa bestimmt die Richtung selbst und hat ihre Tasche in der Hand. Absolut, mehrfach sehenswert!