Von Hengameh Yaghoobifarah

Ein ereignisreiches Jahr voller Diskursscherben und politischer Entwicklungen neigt sich dem Ende zu – nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch szeneintern: Die Proteste rund um den G20-Gipfel weckten Grundsatzdiskussionen darüber auf, was links ist und was nicht, eine Anthologie fütterte bestehende Konflikte in Berlins queeren Communitys und zeigte, wie anschlussfähig der Mainstreamrechtsruck in ebendiesen zu sein scheint. Und immer wieder das Thema Femme-Feindlichkeit. Für all jene, die sich mit bürgerlich-anmutenden, meist eindimensionalen Analysen nicht zufriedengeben, erscheint dieser Tage beim linken Verlag edition assemblage ein unbequemes Buch zu unbequemen Stunden.

Das Cover spoilert bereits: Auf Erwartungshaltungen wird kein Fick gegeben. © edition assemblage

In Teilen zunächst als monatlich publiziertes Zine und erstmals im August 2016 veröffentlicht, schreibt der Missy-Kolumnist Christian Schmacht in seiner Novelle „Fleisch mit weißer Soße“ über die Verstrickungen queerer_trans Lebensrealitäten, Sexarbeit, Community, Heilung, Femme Labor, Kapitalismus, Aktivismus, Feminismen und Freund*innenschaft.

Das Buch handelt von Christian selbst, einem trans Sexarbeiter,  seinen Beziehungen, seiner Arbeit und seinem mal nüchternen, mal aufgewühlten Blick auf seine Umgebung. Beklemmungen, Wut, aber auch Euphorie bestimmen den Haupttenor der spannenden Geschichte.  Da ist etwa die Mitbewohnerin Josy, mit der Christian am Anfang der Erzählung eine vertraute Freund*innenschaft zwischen Cruising-Spot im Volkspark Hasenheide und der WG-Badewanne führt. Es dauert jedoch nur wenige Kapitel, bis ihr Verhältnis in eine Missbrauchsdynamik kippt, in der Josys einstige Nähe einfach nur  bedrängend erscheint und ein Gefühl der Angst hinterlässt. Aus der bisherigen Ehrlichkeit wird eine übergriffige Grenzenlosigkeit, aus der frechen Unverfrorenheit eine gefährliche Schamlosigkeit. Sie erinnert an einen Alptraum, aus dem man erwacht und panisch feststellt, dass sein Inhalt keinen Abstand zur Realität hat, sondern Wirklichkeit ist.

Dann ist da Skyler, eine Person, die im gleichen Bordell wie Christian anfängt. Eine andere queere Person in diesem Kontext zu treffen, bedeutet für ihn vieles gleichzeitig: einerseits eine Überlappung seiner verschiedenen Lebensrealitäten – eine als Hure, eine als queere Person, klar voneinander getrennt. Das sorgt für viele Ambivalenzen. Andererseits wird Skyler schnell zu Christians Anker und ich lese sehnsüchtig eine Geschichte über leidenschaftliche Freund*innenschaft. Ein bisschen wie Bonnie und Clyde, aber in queer und platonisch. Diese Sequenzen sprudeln so vor Lebendigkeit, dass es scheint, man würde ihr lautes Lachen über ihre Sprüche mit Sexarbeiter*innenhumor und das Klackern ihrer High Heels durch das eigene Fenster schallen hören.

Christian Schmachts Alltagsgeschichte bietet den Rahmen der Erzählung, aber auch ein Fernglas, durch das die Leser*innen politische Diskurse betrachten können. Halb wie ein Tagebuch, halb wie ein politisches Essay geschrieben, steckt viel radikale queer- und transfeministische Analyse in den Gesprächen, die mal im Bordell oder mal in der eigenen WG stattfinden. Immer wieder taucht etwa der dieses Jahr im Berliner Querverlag erschienene Sammelband „Beißreflexe.  Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten“ auf, den die Polittunte Patsy l’Amour LaLove herausgegeben hat.

Die Wege von Christian Schmacht und Patsy l’Amour LaLove kreuzen sich immer wieder: Beide feiern sie im queeren Berliner Club SchwuZ, beide thematisieren Kritik an queerem Aktivismus, beispielsweise anhand toxischer Diskussionspraxen und der Bagatellisierung von Identitätspolitiken. Aber sie treffen sich nicht, weder physisch noch in ihren Argumentationen. Das hat zum einen den Grund, dass sie aus sehr unterschiedlichen ideologischen Hintergründen heraus über ähnliche Themen sprechen, aber auch, weil es Christian Schmacht gelingt, harsche Kritik zu formulieren, ohne sich als Opfer zu inszenieren und zu langweilen. Schmacht scheut nicht davor, sein eigenes Verhalten zu hinterfragen.

Was sich durch das ganze Buch zieht: die Schwierigkeit, den Bezug zur eigenen Gefühlswelt herzustellen und diese zu erleben, ihr nicht nur auf einer Meta-Ebene zu begegnen und  zu analysieren. Wie kann eine*r der Entfremdung aus dem eigenen Körper entgegensteuern, wenn alle Kräfte der Gesellschaft eine*n in die andere Richtung treiben?

Das Faszinierendste an Schmachts Novelle ist genau diese kühle Ehrlichkeit, die sich nicht mit seiner poetischen Schreibe beißt. Er interessiert sich nicht dafür, sich irgendwem anzubiedern oder einen dogmatischen Idealismus zu performen, der ihn möglichst heilig rüberkommen lässt. Selbst wenn er es versuchen würde: Huren wird keine Heiligkeit zugesprochen, ihnen werden nicht mal grundlegende Menschenrechte wie körperliche Selbstbestimmung zugestanden, denn sie haben die Grenzen der bürgerlichen Moral überschritten (siehe Christian Schmacht, „(Kein) Sex mit Nazis“). Schmacht verweigert sich außerdem, sich in Dichotomien wie Happy Whore vs. traumatisierte*r Sexarbeiter*in zu quetschen. Damit mag er sich marketingtechnisch Steine in den Weg gelegt haben, für Fans von komplex erzählter, queerer Literatur ist dies jedoch eine große Erleichterung. Wer aus diesem Jahr ein Buch zum Status quo unserer Gesellschaft aus queerer, linksradikaler, antikapitalistischer, feministischer, trans Perspektive lesen möchte, kann Maggie Nelson links liegen lassen und direkt nach diesem kleinen Taschenbuch greifen, dessen Titel in edlen Goldlettern über ein provokatives Cover ragt.

Christian Schmacht „Fleisch mit weißer Soße“
edition assemblage, 110 S., 10 Euro

Am 08.12. findet ab 20 Uhr die Release-Party im faq infoladen statt.

 

Schmacht tut auch nicht so, als sei das Geld für ihn Nebensache. Menschen, die so tun, als sei Geld eine Nebensache, haben meist zu viel davon oder sie sind einfach nur fake oder haben Angst davor, als gierig rüberzukommen. Schmacht hat diese Angst nicht. Er nennt viele Dinge beim Namen, die andere sich nicht trauen oder sich nicht eingestehen wollen, etwa, dass Sex außerhalb des Kapitalismus nicht existiert, wenn wir in einem kapitalistischen System leben:
„Bei sex und liebe denken sie, das ist so ursprünglich, das gehört mir, egal wie entfremdet ich sonst bin. Aber das ist nicht wahr und wir sexworker stoßen sie darauf, mit unserer bloßen existenz und das mögen sie nicht
Denn vielleicht
vielleicht machen wir sie aufmerksam, dass auch ihr sex und auch ihre liebe innerhalb der verwertungslogik stattfinden.“

Er reflektiert auch seine Rolle als Autor und wie das Buch gelesen wird, ob etwa Leute, die seiner Lebensrealität sehr fern sind, voyeuristisch „krasse Erfahrungen“ über seinen Körper verhandeln wollen. Warum sein Buch so wichtig ist, beantwortet er letztlich selber: „Ich habe Lust, zu erzählen, weil ich Lust habe, zu existieren.“