Von Azadê Peşmen

Das Wort „Token“ gehört zu den englischen Begriffen, die im Deutschen kein passendes Äquivalent haben und dementsprechend schwierig zu erklären sind. „Alibi-Kanake“ oder „der Quoten-Schwarze“ wären Pendants, die dem Begriff am ehesten entsprechen.
Aber der Reihe nach: Das theoretische Konzept „Tokenism“ hat die US-amerikanische Soziologin Rosabeth Moss Kanter Ende der 1970er-Jahre entwickelt. Sie untersuchte einen multinationalen Konzern auf seine Einstellungspraxis hin und stellte dabei fest, dass Frauen, die in dem Unternehmen arbeiteten, eine Alibifunktion einnahmen.

Das heißt: Sie wurden nicht als Individuen betrachtet, sondern lediglich als Repräsentantinnen der Kategorie „Frau“. Dabei wurden sie an traditionellen weiblichen Rollenstereotypen gemessen und bei beruflichen Erfolgen als Ausnahmen von der Regel dargestellt. Die wenigen Frauen, die dort arbeiteten, wurden in unterschiedlichen Abteilungen eingesetzt, sodass sie selten Kontakt miteinander hatten. Erfahrungen auszutauschen, sich zusammenzuschließen und eine Gegenkultur aufzubauen, wurde dadurch erschwert. Das ist ein typischer Effekt des Tokenism: Tokens werden isoliert und merken deshalb nicht, dass sie instrumentalisiert werden.

Das Konzept Tokenism bezieht sich allerdings nicht nur auf die Kategorie Geschlecht. Gayatri Chakravorty Spivak hat als erste Autorin diesen Begriff aus der Perspektive einer Wissenschaftlerin of Color reflektiert und festgestellt, dass dominante Gruppen einige wenige Marginalisierte im Zentrum zulassen, diese jedoch nur akzeptieren, wenn sie die Ideologie der dominanten Gruppe bestätigen – also dieselbe Meinung vertreten wie diese.

Ein Beispiel: In deutschen Talkshows vertreten oft diejenigen, die über Themen wie „den“ Islam™ sprechen, „zufällig“ dieselben Positionen wie die Mehrheitsgesellschaft: Etwa „Der Islam“ sei rückständig und brauche eine sexuelle Revolution. Wenn diese Aussage von „eine*r*m Muslim*a“ (irgendwem mit schwarzen Haaren, theologische Kenntnisse sind irrelevant) getroffen wird, dann gewinnt die Aussage an Glaubwürdigkeit, weil die Person nicht als Individuum, sondern als Repräsentant*in für eine imaginierte Gruppe spricht. Im Umkehrschluss bedeutet das: Tokens haben oft nicht die Möglichkeit, für sich selbst zu sprechen, sondern machen immer wieder die Erfahrung, auf „ihre“ (Identitäts-)Kategorie reduziert zu werden.

Token zu sein, bedeutet in erster Linie aufzufallen. Dafür reicht es, eine marginalisierte Person in einer hegemonial besetzten Gruppe zu sein. Diese erhöhte Sichtbarkeit wirkt sich nicht unbedingt positiv aus. Sobald ein Fehler gemacht wird, wird dieser nicht als individueller Fehler gelesen, der mal passiert, sondern er wird auf die gesamte imaginierte Gruppe übertragen. Etwa: „Kein Wunder, dass die Rechtschreibfehler macht. Richtiges Deutsch können die meisten Ausländer*innen™ halt nicht.“ Umgekehrt wird man, wenn man in der Rolle des Tokens steckt und gute Arbeit leistet, dafür nicht gelobt: „War schon ganz OK. Für eine Frau.“

Manche Tokens entscheiden sich ganz bewusst für ihre Rolle, etwa aus Publicity- und/oder Karrieregründen, andere stecken in ihrer Ich-bin-die-Ausnahme-Rolle fest und merken es nicht. Die Verantwortung, die eigene Sprecher*innenrolle und ihre Auswirkungen zu hinterfragen, tragen aber alle.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 06/17.