Von Sabine Rohlf

Wer sich dieser Tage auf Hugendubel-Christmas-Kitsch-Tischen umschaut, kann dort ein lieblich gestaltetes Buch mit Sternen drauf entdecken. Es ist von Jeanette Winterson und enthält zwölf Erzählungen: Einsame Herzen finden an Heiligabend ihr Glück, Waisenkinder besiegen garstige Heimleiterinnen, Frauen treffen den leibhaftigen Geist der Weihnacht (er ist ein Mädchen), Schneefrauen erwachen zum Leben, Gespenster (darunter eines, das trans ist) treiben ihr Unwesen, denn Geister gehören in England zu Weihnachten wie der Plumpudding.

@ Sam Churchill

Zwischen ungeniert kitschigen und nicht sonderlich filigranen, aber auch witzigen und manchmal sehr ernsten Geschichten präsentiert Jeanette Winterson Persönliches: Sie berichtet etwa, was sie mit Post-Punk-Rebellin Kathy Acker und Sahnesoße verbindet, wie sie selbst und ihre Frau, die feministische Psychoanalytikerin Susie Orbach, übers Festtagsmenü streiten und vom Truthahnrezept der pakistanischen Schriftstellerin Kamila Shamsie gerettet werden. Dazu gibt es Gedanken über Kolonialismus in der englischen Küche, über jüdische, christliche, vorchristliche oder völlig religionsferne Rituale, über Ruth Rendells Rotkohl und Kindheitserinnerungen.

Ihre Adoptiveltern, erzählt Winterson in der Einleitung, sperrten sie oft in den Kohlenkeller. Dort begann sie, sich selbst Geschichten zu erzählen: Fantasie war ihr einziger Ausweg. Als sie sich mit 16 in eine Frau verliebte, setzten Mr. und Mrs. Winterson – puritanische Christ*innen – sie auf die Straße. Der Rest ist Literaturgeschichte. Jeanette verarbeitete ihre Jugend im Roman „Orangen sind nicht die einzige Frucht“, es folgten viele weitere. In allen verbinden sich subversive und poetische Energie, die Freude am Fantastischen, Mut zu großen Gefühlen und klare Gesellschaftskritik.

Jeanette Winterson: „Wunderweiße Tage. Zwölf winterliche Geschichten“
Aus dem Englischen von Regina Rawlinson. Wunderraum, 352 S., 24 Euro

Das passt zu Weihnachten, wie Winterson es versteht: eine von Wundern, Glanz, Hoffnung, Abgründen und Höhenflügen durchzogene Zeit, die zu erfreulichsten Regungen inspirieren kann. Wäre sie nur nicht so sehr mit christlicher Dominanz, gnadenlosem Kommerz, der bürgerlichen Kleinfamilie und entsprechend fixen Geschlechterrollen verknüpft. Ihr Buch ist der Versuch, das eine vom anderen zu trennen, und es gelingt ihr ziemlich gut.

Winterson- oder Weihnachtsfans werden sich das jedenfalls nicht entgehen lassen, alle anderen könnten beim Lesen zu beidem werden. Sie dürfen sich nur nicht davon schrecken lassen, das Buch mit seinem nicht sonderlich gelungenen deutschsprachigen Titel zwischen Schneekugeln und lebkuchensüßen Liebesromanen zu entdecken.