Von Janne Knödler

Vor fast einem Jahr habt ihr das Lied „You Are The Problem Here“ veröffentlicht, in dem es um Victim blaming geht. Was hat euch dazu bewogen?
Johanna Söderberg: Dass wir als Frauen im Patriarchat leben. Bevor wir das Lied geschrieben haben, ging gerade der Fall von Brock Turner durch die Medien, einem Collegestudenten, der eine bewusstlose Frau vergewaltigt hatte. Er wurde zu einer Haftstrafe von nur sechs Monaten verurteilt – und hat dagegen sogar Einspruch eingelegt. Der Richter begründete das milde Urteil damit, dass der Vorfall das Leben dieses jungen Mannes nicht ruinieren sollte. Wie es der betroffenen Frau damit ging, spielte keine Rolle. Mit dem Lied wollten wir die Schuldfrage dorthin richten, wo sie hingehört: an den Täter. Diesen Song auf Konzerten ins Mikro zu schreien, fühlt sich immer noch kathartisch an.

@Lauren Dukoff/Columbia Records
Ihr fordert in einem offenen Brief null Toleranz für Sexismus in der Musikbranche. Über zweitausend Künstler*innen haben mitgemacht. Wie war das bisherige Feedback?
JS: Man hofft natürlich immer, dass die Resonanz noch größer wird, als sie es dann ist. Uns ist es wichtig, dass die Debatte um #metoo nicht verebbt. Dass Täter*innen zur Rechenschaft gezogen werden und dass auch Unternehmen für ihre Angestellten Verantwortung übernehmen. Das wird oft vergessen: In vielen Fällen nutzen die Täter*innen ihre Machtposition am Arbeitsplatz aus.
Klara Söderberg: Zu #metoo gehören viele Ebenen: Einerseits, dass sich Täter*innen verantworten müssen. Andererseits ist es wichtig, dass #metoo uns als Betroffene zusammenbringt und zeigt, dass wir uns gegenseitig unterstützen. Je mehr mitmachen, desto mehr Stärke und Rückhalt entsteht!

JS: Als Frauen mit einer gewissen Macht tragen wir auch eine Verantwortung. In der Realität können es sich nicht alle Betroffenen leisten, auf Belästigung und Diskriminierung aufmerksam zu machen. Wer auf seinen*ihren Job zum Überleben angewiesen ist, überlegt sich zweimal, ob er*sie einen Übergriff anzeigt. Wir müssen versuchen, uns hinter jene Frauen zu stellen, die diese Macht und diese Plattform noch nicht haben. Wir können es uns leisten, laut zu sein. Was haben wir denn zu verlieren? Das ist uns wichtiger als unsere Karrieren. Für Künstler*innen, die Angst davor haben, durch politische Aussagen Fans zu verlieren, habe ich wirklich kein Verständnis.

Fällt  es  der  Öffentlichkeit  leichter,  berühmten  Frauen  zu  glauben?
KS: Ja.  Man schenkt denen mehr Glauben, die man kennt oder glaubt zu kennen. Berühmtheit vermittelt diese Illusion, Fans investieren in unserer Leben und haben so das Gefühl, sich zu unseren Erlebnissen in Beziehung setzen zu können.

JS: Ein Grund mehr, dass wir unserer Verantwortung nachkommen und Menschen unterstützen müssen, die dieses Privileg nicht haben.

KS: Als wir als Musikerinnen angefangen haben, sah die Situation noch anders aus. Als junge Frau in diesem Business bist du sehr verwundbar. Das Musikbusiness ist sehr hierarchisch organisiert, viele Beschäftigungsverhältnisse sind prekär. Wie in Hollywood versuchen auch hier viele Leute, ihre Träume zu verwirklichen. Viele Menschen haben Angst, das aufgeben zu müssen, wenn sie sich beschweren.

Ändert sich das mit der Zeit?
KS: Wenn man anfängt, ist die Situation ein Sinnbild der Ungleichheit: Du triffst z. B. auf einen Producer, der jeden Tag zwanzig junge Frauen durch sein Büro laufen hat, über deren Karriere er entscheiden kann. Wir hatten den Vorteil, dass wir von Anfang an alles selbst geschrieben und komponiert haben, niemand hat vorgegeben, was oder worüber wir singen sollen. Wir hatten auch schon Kontakte im Business, das hilft ungemein. Und: wir waren immer zu zweit, noch dazu Schwestern, die sich bedingungslos gegenseitig  unterstützen.

JS: Unser größter Kampf war es, ernst genommen zu werden. Wir mussten beweisen, dass wir „authentisch“ sind. Richtig los ging unsere Karriere erst, als wir mit älteren Männern zusammengearbeitet haben. Nicht, dass wir nicht dankbar sind, aber das war schon Bullshit.