Von Janne Knödler

Ich habe ein neues Hobby. Abends, wenn ich nach Hause komme, setze ich mich auf die Couch, fahre meinen Laptop hoch und schaue wohlhabenden Menschen dabei zu, wie sie sich winden, um ja nicht zuzugeben, dass sie reich sind. Ermöglicht wird mir diese Freude durch die neue WDR-Serie „Docupy“ mit dem Namen „Ungleichland“. Die Idee: Zwei Menschen sitzen in einem dunklen Raum an einer Massivholztischplatte und reden über Geld. Eine Person hat davon viel, die andere wenig. Einer der beiden ist das Gespräch richtig unangenehm. Z. B., wenn Lars Eidinger und Nele Glier dort zusammen sitzen. Ratet mal, wer die Frage nach dem Einkommen nicht beantworten will.

Lars Eidinger ist auch DJ ©Flickr/Michael Mayer/CC BY 2.0

Scham ist ein Gefühl, das uns trifft, wenn wir soziale Grenzen überschreiten. Scham bestraft uns, wenn wir etwas falsch machen, und hält uns davon ab, noch mehr falsch zu machen. Was „falsch“ ist, entscheiden soziale Normen – wenn wir fragen, wer sich für was schämen muss in unserer Gesellschaft, treffen wir ganz schnell auf Marginalisierungsprozesse. Didier Eribon, ein französischer Schriftsteller, der als Homosexueller in der französischen Arbeiter*innenklasse aufgewachsen und heute Darling der linken Szene ist, meinte letztes Jahr in einer Lesung: „Scham ist kein Gefühl, sondern eine soziale Strukturierung“. Geld ist vermutlich der einfachste Weg, an der Spitze der Gesellschaft zu stehen. Warum schämen sich dann reiche Menschen dafür?

Schon das Vokabular, mit dem wir über Geld reden, zeigt, wie wir damit in Verbindung stehen wollen: Geld verdient man sich, den prestigeträchtigen Job erarbeitet man sich. Hauptsache, wir können in dem Glauben stehen, dass der eigene Wohlstand rechtmäßig und gerecht ist und im direkten Verhältnis zu den geleisteten Verdiensten steht. Die schleichende Ahnung, dass dem nicht so sei, wird verdrängt. Klar, gegen den Gender Pay Gap kämpfen in Deutschland alle (manche, weil sie Lohngerechtigkeit gut finden, andere kämpfen leider immer noch gegen den Begriff an sich). Laut statistischem Bundesamt lag der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen letztes Jahr bei 21 Prozent, was noch wenig scheint, wenn wir den Pay Gap erst mal intersektional denken und z. B. (zugeschriebene) Ethnizität miteinbeziehen. Obwohl uns diese Zahlen bekannt sind, bleibt der Pay Gap für die, die auf dessen guter Seite stehen, nichts als das: eine Zahl, ein abstraktes Konzept.

„Ungleichland“ gibt dem Ganzen ein Gesicht beziehungsweise zwei Gesichter. Ich wünschte ja, der WDR würde die Serie mit catchy Phrasen wie „gnadenlos“ oder „Deutschland lässt die Hüllen fallen“ anpreisen, aber dafür ist sie vermutlich zu seriös. Greifbar ist die Spannung im Raum trotzdem: Unter dem herausfordernden Blick der Wenigverdienerinnen (bisher immer Frauen) fällt es den Vielverdiener*innen schwer, zu sprechen. Sie rutschen auf ihren Stühlen herum, lachen nervös, blicken hilfesuchend zur Redakteurin im Off, ziehen Grimassen, kauen auf ihren Lippen und weichen am Ende aus oder antworten mit Allgemeinplätzen.

Mein Favorit:

„Können Sie uns sagen, wie viel Geld Sie im Monat zur Verfügung haben?“

„Für was jetzt?“

„Fürs Leben.“

„Wir kaufen Lebensmittel ein so für 100, 150 Euro in der Woche.“

Was war noch mal die Frage?

Dass nicht selbst verdientes Geld hierzulande ein schlechtes Image hat, hat natürlich auch mit der jüngeren deutschen Geschichte zu tun. In Deutschland brauchen wir nur ein, zwei Generationen zurückzublicken, um zu sehen, warum Reichtum stinkt: In der jüngeren deutschen Geschichte nämlich befand sich nach Enteignungen und Ermordungen plötzlich alles Geld in Nazihand. Das liegt zwar in Deutschland besonders kurz zurück, zieht sich aber durch alle Gesellschaften: Die Verteilung von Wohlstand ist das Resultat gewaltsamer Akte. Die Wohlstandsverteilung heute ist einfach eine Kontinuität davon.

Eine alternative Erklärung dafür, warum wir verschweigen, dass wir reich sind, hat uns der österreichische Kanzler Sebastian Kurz letztens bei „Maischberger“ präsentiert. In den letzten Jahren, meinte er nämlich, haben wir immer wieder erlebt, wie gegen Vielverdiener*innen gehetzt würde – „das ist genauso falsch, wie wenn gegen andere Gruppen gehetzt wird“. Endlich mal jemand, der Solidarität mit den Reichen fordert! Seitdem trendet der Hashtag #Reichenhetze, aber vermutlich nicht so, wie Herr Kurz sich das vorgestellt hat.

Lars Eidinger zumindest erkennt in seinem „Docupy“-Gespräch die Ungerechtigkeit sozialer Ungleichheit an. In guter Theatermackermanier mansplained er uns das mit einer Analogie aus Brechts „Johanna“. Die Beziehung zwischen Arm und Reich nämlich sei gar kein Hügel, sondern ein Schaukelbrett: „Wenn die Armen hochgehen, gehen die Reichen runter, und umgekehrt.“ Gesellschaftlichen Wohlstand als Nullsummenspiel zu betrachten ist schon sehr vereinfachend, aber in einem Punkt hat er wohl recht:  „Mein Reichtum gründet […] auf einer gewissen Ungerechtigkeit, nämlich dass es anderen dafür schlechter geht“, meint er und blickt seine Gesprächspartnerin an. Also die, die weniger verdient, damit er mehr verdienen kann. Was daraus folgt, ist unklar. Der Schulterklopfer für seine Wokeness bleibt im Video aus (den gab es aber durchaus im Internet). Lieber Lars, dich als reich zu outen, macht dich noch nicht zum Gerechtigkeitskämpfer. Falls du darauf aber mal Lust hättest, findest du bestimmt einen Weg, deine Plattform und deine Ressourcen der Lohngerechtigkeit zu widmen.  Im Zweifelsfall gilt auch immer: Sharing is Caring. Genügend Kontonummern findest du dafür in Ungleichland sicherlich.