Von Anna Mayrhauser

Als Teenager trug ich im Turnunterricht ein T-Shirt aus dem Merchandise des österreichischen öffentlich-rechtlichen Jugendsenders FM4, auf dem stand „Ich bin die Internetgeneration“. Es war das Jahr 2001, das Internet spielte eine verschwindend geringe Rolle in meinem Leben. Der Schriftzug bezog sich auf eine Aussage von Wolfgang Schüssel, damaliger österreichischer Bundeskanzler der Regierung Schwarz-Blau 1, dass auf den Donnerstagsdemos, die seit 2000 wöchentlich gegen die gerade gewählte schwarz-blaue Regierungskoalition aus FPÖ und ÖVP stattfanden, nur ein paar „Alt-68er und die junge Internetgeneration“ demonstrieren würden.

© Eva Feuchter/Missy Magazine

Das fanden wir lustig. Auf meinem Schulrucksack trug ich einen „Ich habe diese Regierung nicht gewählt“-Button. (Ich war genau genommen auch noch nicht wahlberechtigt.) Gemeinsam mit Freund*innen nach Wien zu Demos fahren war aufregend. Man konnte es auch mit einem Besuch in einem der ominösen Clubs verbinden, von denen die auf FM4 immer redeten, und die aus unserer Perspektive sehr weit weg waren. Wir fühlten uns schon subversiv, weil wir nicht Ö3 hörten, den mainstreamigen Popsender des ORFs. So einfach war das.

In unserer Kolumne Missyverse bloggt die Redaktion des Missy Magazines, immer im Wechsel. Ab sofort, jeden Freitag.

Irgendwann, sehr viel später, fand ich das T-Shirt beim Ausmisten meines Kleiderschranks. Ach, wie entzückend, dachte ich, wie niedlich, mit einem dermaßen harmlosen und nichtssagenden Spruch politischen Protest auszudrücken. Ich brachte es nicht übers Herz, das T-Shirt in den Altkleidersack zu geben und verstaute es in einer Kiste im Keller, wer weiß, vielleicht könnten es es meine Enkelkinder eines Tages ironisch tragen.

Diesen Mittwoch hat das Wiener Stadtmagazin „Falter“ über das mögliche Aus von FM4 unter der Neuauflage der schwarz-blauen Regierung berichtet. 2019, so lauteten Gerüchte, solle der Sender, dessen Protagonist*innen, wie es im Artikel heißt, einen wichtigen Teil der österreichischen Gegenöffentlichkeit darstellen, eingestellt werden, mit der Begründung: Nichterfüllen des Bildungsauftrags. Sowohl der Sender selbst als auch ÖVP und FPÖ haben dies mittlerweile dementiert. Das Misstrauen ist noch da: Eine Online-Petionen ruft zum Erhalt des Senders auf, auf Social Media solidarisieren sich viele mit dem Sender, der mit alternativer Musik und wortlastigem Programm, wie es der Journalist Thomas Weber etwa im Deutschlandradio beschreibt, für ein „weltoffenes Österreich“ steht .

Eine Regierung, die einen öffentlich-rechtlichen Kultursender abdrehen will? Das klingt absurd, auch wenn es immer wieder Gerüchte um die Weiterexistenz des Senders gab.

Und trotzdem ist es in eine vorstellbare Nähe gerückt: Die Liste der Maßnahmen und Ideen der neuen Auflage der schwarz-blauen Regierung seit ihrer Angelobung liest sich manchmal, als hätte Mr. Burns die Macht übernommen: Rauchverbot abschaffen, Tempolimit aufheben, Sonne verdunkeln.

Projekte, die älteren Lanzeitarbeitslosen den Zugang zu Arbeitsmarkt erleichtern, werden eingestellt, Alleinerziehenden wird der Zugang zu Kindenbetreuung erschwert, ein Vizekanzler teilt auf seinem privaten Facebook-Profil Hetzartikel gegen eine Journalistin, ein Innenminister, der von „konzentrieren“ von Geflüchteten spricht, ein Politiker, der ziemlich lange zum Rücktritt braucht, nachdem rechtsextreme Liedtexte seiner Burschenschaft bekannt werden.

Derweil wurden im schon seit 2015 schwarz-blauen Oberösterreich zum Jahresende Vereinen und Beratungsstellen wie maiz – autonomes zentrum von & für migrantinnen*, FIFTITU% -Vernetzungs- und Beratungsstelle für Frauen* in Kunst und Kultur in OÖ und Arge SIE – Beratung und Wohnen für wohnungslose Frauen die Förderungen ersatzlos gestrichen. Die betroffenen Vereine machen nun bei der Initiative frauenlandretten.at darauf aufmerksam, dort kann man übrigens auch für sie spenden.

Anna Mayrhauser ist seit Anfang 2016 Redakteurin bei Missy. Sie schreibt gerne über Film, Kultur und Gesellschaft.

Das alles zeigt so unverhohlen, welche Personen derzeit in Österreich erwünscht sind und welche nicht, dass man sich auch das Beschneiden von Pressefreiheit in Form der Einstellung eines öffentlich-rechtlichen Kultursenders ganz gut vorstellen kann. Was für eine schreckliche Diskursverschiebung, wenn selbst Bedürfnisse wie Radiohören, das Einfordern von anspruchsvollem Kulturjournalismus und der Wunsch nach Indiemusik im Radio wieder zum widerständigen Akt werden.