Freund*innen bleiben
Von
Von Vina Yun
Seitdem in meiner Familie ein Elternteil schwer erkrankt ist und ich mich dafür entschieden habe, die Pflegearbeit zu übernehmen, ist mein Alltag ziemlich auf den Kopf gestellt. Nicht nur haben sich meine Beziehungen innerhalb der Familie gewandelt – auch mein Blick auf Freundschaften hat sich verändert.
Es gibt langjährige Freund*innen, die mich großartig unterstützen und mir Trost spenden, wenn es wieder einmal zu heftig wird. Es gibt solche, bei denen sich die Freundschaft vertieft hat, manchmal aufgrund ähnlicher Erfahrungen. Aber es gibt auch Freund*innen, die das Thema lieber vermeiden – über Krankheit zu sprechen, fällt ihnen schwer, die Auseinandersetzung mit (dem möglichen) Tod und Verlust stellt nach wie vor ein Tabu dar. Nicht zuletzt erinnert das gern aus dem Alltag verdrängte Bewusstsein, dass die Eltern einmal sterben werden, an die eigene Vergänglichkeit. Und es macht Fragen auf wie: Welche Beziehungen liegen mir wirklich am Herzen? Und woran messe ich deren Wichtigkeit für mich?
In unserer Kolumne Missyverse bloggt die Redaktion des Missy Magazine, immer im Wechsel. Ab sofort, jeden Freitag.
Um auf die „vermeidenden“ Freund*innen zurückzukommen: Zeitweilen spüre ich durchaus Enttäuschung – aber wäre es zu einfach zu meinen, das seien eben keine „richtigen“ Freund*innen. Ich bezweifle, dass ich selbst in der Vergangenheit immer das nötige Verständnis aufgebracht habe, wenn bei Freund*innen Familienmitglieder krank und pflegebedürftig wurden. Dass ich genügend konkrete Unterstützung angeboten habe, um sie zu entlasten. Dass ich es nicht doch mal persönlich genommen habe, wenn sie keine oder weniger Zeit für mich hatten und ihre Aufmerksamkeit einfach woanders lag.
Trotzdem gibt es sie, die Freundschaften, die sich langsam, aber sicher auseinanderentwickeln. (Der Verlust von Freundschaften trifft auch die kranken Menschen selbst, und das meist noch viel härter – nicht zufällig verkürzt soziale Isolation das Leben.) Weil ein Elternteil (chronisch) krank wird, heißt das natürlich nicht, dass sich alles nur mehr darum drehen und sich Mitgefühl bloß daraus ableiten soll. Auch mein Leben definiert sich nicht durch die Krankheit in meiner Familie. Doch die Situation hat mich verändert, sie hat mich zugleich egoistischer und bedürftiger gemacht. Die Heftigkeit, mit der sich komplexe Krankheiten wie Krebs oder Demenz auch ins Leben von betroffenen pflegenden Angehörigen drängen, lässt eine*n den Gap spüren, der entsteht, wenn die Unbekümmertheit plötzlich weg ist. Es fühlt sich an wie das Ende der Kindheit – auch wenn man selbst schon lange kein Kind mehr ist.
Vina Yun ist seit 2016 Redakteurin bei Missy Magazine. Wenn sie sich nicht gerade Texten widmet, hört sie gerne altmodisches Disco-Vinyl und begeistert sich für den ranzigen Charme alter Wiener Kaffeehäuser.
Ein Satz, den ich in letzter Zeit sehr oft zu hören bekommen habe, ist: „Du musst gut auf dich schauen“, oder auch „Du solltest deine Interessen nicht vernachlässigen“. Klar, dachte ich anfangs. Schon bald musste ich jedoch feststellen, dass ich, die immer als „Powerhouse“ gegolten hat, keine unerschöpflichen Energien besitze und ich meine Interessen und Verpflichtungen nicht so einfach unter einen Hut kriege.
„Du musst gut auf dich schauen“ heißt manchmal aber auch: Ich will deine Müdigkeit und deinen Kummer nicht sehen, belaste mich nicht damit! Ein Familienmitglied oder einen nahestehenden Menschen zu pflegen und ihm beizustehen ist definitiv kräftezehrend. Aber sie kann – wie in meinem Fall – auch eine sinnvolle, bereichernde Aufgabe sein. Und das, obwohl es Tage gibt, an denen Erschöpfung und große Traurigkeit dominieren.
Trotz dieser Mehrbelastung möchte ich die „Alltagssorgen“ meiner Freund*innen weiterhin ernst nehmen. Ebenso möchte ich aber, dass mein Schmerz und die Angst einen Platz haben dürfen.