Von Janne Knödler

Es gibt einen Vorwurf, welcher der Kunstszene immer wieder gemacht wird, von allen Seiten. Ein Vorwurf, der sich durch verschiedene Formate, Projekte, Länder zieht: den der Selbstreferentialität. Auch Ulla Heinrich vom HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden macht ihn. „Die Kunstszene heute ist oft ‚meta’“, meint sie. „Als wäre Kunst keine mehr, sobald sie mit der ‚echten Welt’ verknüpft ist.“ Sie schüttelt den Kopf. „Wir wollen die Kunst auf den Boden holen. Wir meinen es ernst. Nicht nur mit der Kunst, sondern auch mit dem Kampf.“

Lorna Mills‘ Installation ©Anja Schneider

Gleich zu Beginn des Gespräches merke ich, wie viel Herzblut die Veranstalter*innen in das Festival gesteckt haben. DGTL FMNSM (sprich: Digital Feminism) ist nicht „nur“ als kreatives Projekt, sondern als konkreter politischer Beitrag gedacht. Viele Formate sind deshalb an die eigene politische Praxis angelehnt: Es geht um Skillsharing und die Einbindung des Festivals in bestehende aktivistische Netzwerke. Drei Tage lang sollen in HELLERAU in Workshops und Diskussionen, Performances und Vorträgen Verbindungen erwachsen, Netzwerke gepflegt und mit Kunst als „Transitzone“ Zukunft gedacht werden. Das Festival findet zum zweiten Mal statt; 2016 war es Teil des Cynetart, das sich als Festival für Computerkunst beschreibt.

DGTL FMNSM Festival
16-18. März in HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste in Dresen. Mehr Infos und Programm gibt es hier.

Ein Festival, das realweltliche politische Praktiken fördern möchte und sich mit Digitalität beschäftigt – reiben sich diese beiden Ansätze nicht? Ist nicht gerade der Vorwurf an die Gesellschaft im 21. Jahrhundert, dass wir uns hinter digitalen Repräsentanzen verstecken? Dass an die Stelle von „echten“ zwischenmenschlichen Verbindungen Facebook-Freund*innenschaften treten und an die Stelle von transformativem politischen Engagement der Protest auf Social Media? Auch bei einigen Formaten des DGTL FMNSM begegnen sich Performer*innen und Publikum nur vermittelt durch Technologien:

In der Show GLEAM beispielsweise, entstanden aus der Arbeit der Künstlerin Shawné Michaelain Holloway und der Kuratorin Konstanze Schütze, werden Künstler*innen aus der ganzen Welt digital nach HELLERAU geschaltet. Sie performen vor einer Kamera, für Menschen, die sie nicht sehen. „Genau hier öffnet sich dann die Frage: Was macht diese Zwischenschaltung? Was macht das mit dem Erleben, wenn wir hier und dort als Menschen existieren, aber zwischendrin in Daten übersetzt werden?“ Die Parallele zu unserer konkreten Interviewsituation entgeht mir nicht. Ich sitze in meinem Schlafzimmer in Neukölln, Ulla Heinrich in HELLERAU im Büro. Mithilfe der Videotechnologie habe ich sie, visuell und auditiv, tief in meine Privatsphäre eingeladen. Ihre Hand kann ich trotzdem nicht schütteln. „Verändert das den Wert der Interaktion?“, fragt Heinrich weiter. Für die Organisatorin eines Kunstfestivals stellt sich die Frage auf mehreren Ebenen: Macht die Digitalität dieses Erlebnis weniger bewegend oder einprägsam? Und konkret: „Wir haben lange diskutiert über die Frage, ob wir für so etwas Eintritt verlangen können. Aber natürlich können wir das. Die Künstlerische Leistung wird ja erbracht.“

Analoge Räume sollen auf dem Festival aber nicht an Bedeutung verlieren. Nicht bei allen Performances ist Technologie zwischengeschaltet – „so ist das ja auch täglichen Leben nicht.“ Auch darüber, wie wir uns in physischen Räumen bewegen, soll nachgedacht werden. Besucher*innen können sich dem nicht entziehen: Alle Veranstaltungen des Festivals findet in einer Rauminstallation statt, die von Dresdener Künstler*innen gestaltet wurde. Die Rauminstallation soll eine Art Zuhause sein, ein Ort mit einer Identität, einer Geschichte. Die Veranstalter*innen nehmen das wörtlich und werden dort sogar schlafen. Der Raum wird durch Besucher*innen verändert und mitgestaltet, kann aber weder ganz angeeignet noch ignoriert werden. „Besucher*innen, ob die Künstler*innen oder das Publikum, müssen mit dem Raum interagieren, sich ihm gegenüber positionieren. Auf welche Art und wie stark, das bleibt ihnen überlassen. Aber sobald sie den Raum betreten, werden sie Teil davon“, sagt Heinrich.

In dieser Idee des Zuhauses spiegelt sich auch das Thema der diesjährigen Ausgabe des DGTL FMNSM wieder: Digitale Intimität. Intimität auf einem feministischen Festival – reproduziert das nicht auf eine Art solche Binaritäten, die Weiblichkeit mit dem Privaten, dem Vertrauten in Verbindung bringen? „Natürlich wollen wir als Feminist*innen das weibliche und queere aus der Beschränkung auf die Privatsphäre befreien“, sagt Heinrich. „Trotzdem glaube ich daran, dass die Gemeinsamkeit, die solch ein Festival fördern kann, unglaublich wichtig für emanzipatorische Bewegungen ist.“ DGTL FMNSM ist ein sicherer Raum, in dem Teilnehmer*innen sich kennenlernen, gegenseitig unterstützen und gemeinsam heilen können. Die Kunst dient dabei als Chance, aus bisherigen Denkmustern auszubrechen und zu inspirieren: „Kunst kann mehr träumen als die Realpolitik.“

Genau dazu soll das Festival einladen: Zum zusammen Träumen, zum Erarbeiten von Zukunftsvisionen, zum Denken von Utopien. Politische Kämpfe finden zwar primär in der Gegenwart statt, und Heinrich hat vollstes Verständnis für alle, die heute so viel zu tun haben, dass sie sich nicht mit dem „Was Wäre Wenn“ beschäftigen wollen. Aber die Vorstellung, dass es eine Zukunft ohne Kampf geben kann – weil wir ihn gewonnen haben – beherbergt unglaublich viel empowerndes Potential. Vom 16. – 18. März sind alle nach HELLERAU eingeladen, um mitzumachen.