Von Stefanie Lohaus

In Berlin sorgt eine Broschüre für große Aufregung. Die „B.Z.“ und die „Bild“-Zeitung behaupteten: In Berliner Kindergärten würden Broschüren verteilt, in denen Kinder über „sexuelle Spielarten“ informiert würden. Was genau das sein soll? Keine Ahnung, aber hört sich nach Oral- oder Genitalverkehr, BDSM oder so an. Auch eine Kolumne der „Deutschen Welle“ und die „Huffington Post“ nahmen den Vorwurf auf. Doch diese Meldungen sind falsch. Denn die Broschüre des Sozialpädagogischen Fortbildungsinstituts Berlin Brandenburg und der Bildungsinitative Queerformat informiert vielmehr über sexuelle Vielfalt. Also darüber, dass es Trans- und Intersexualität gibt und nicht nur cis Jungen und cis Mädchen. Und dass das eben einfach so ist. Es ist eine Broschüre, die sich gegen die Diskriminierung von Kindern richtet, die nicht in das binäre Raster fallen.

© Eva Feuchter/Missy Magazine

Die Autor*innen dieser Medien sind einem Hauptnarrativ des organisierten Antifeminismus auf den Leim gegangen: dass (Queer-)Feminist*innen Kinder mit einer Frühsexualisierung indoktrinieren würden.

Antifeminismus ist keine Meinung, sondern eine vernetzte, mit Durchsetzungsmitteln versehene Haltung der Ungleichheit. Eine Haltung, die davon ausgeht, dass nicht alle Menschen die gleichen Lebenschancen verdienen und nicht frei über ihr Leben bestimmen sollen. Er richtet sich gegen den demokratischen, menschenrechtlichen Kern, den alle verschiedenen Strömungen des Feminismus gemeinsam haben: Sie alle arbeiten, zum Teil seit 130 Jahren, an Gesellschaftsmodellen, in denen unterschiedliche Lebensentwürfe selbstbestimmt und in Freiheit gelebt werden können. Es geht immer um eine demokratische Gesellschaft, eine gerechte Gesellschaft, eine freie Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der das Versprechen gilt, dass allen Menschen ein gutes Leben zu steht. Ein selbstbestimmtes Leben. Ein Leben in Sicherheit, ohne Gewalt. Das ist die Utopie, an der wir arbeiten.

Antifeminismus muss unterschieden werden von Feminismuskritik, einer Kritik, die einzelne Aspekte des Feminismus trifft, aber das grundsätzliche Gleichheitsprinzip anerkennt. Antifeminismus geht davon aus, dass gesellschaftliche und ökonomische Privilegierungen von Gruppierungen aufgrund von Geschlecht richtig sind, dass Ressourcen und Rechte weiterhin ungleich verteilt bleiben sollen. Er folgt darin der gleichen Logik wie Rassismus, Antisemitismus, Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit. Deswegen ist Antifeminismus keine Petitesse, keine Frage von Political Correctness, sondern muss als Ablehnung von Prinzipien und Rechten gewertet werden, die für unser demokratisches Zusammenleben existenziell sind.

Antifeminismus gibt es, seit es Feminismus gibt. An der neuen Rechten, wie sie sich selbst nennt, ist nichts neu. Bereits im Kaiserreich organisierten sich starke, explizit antifeministische Strömungen. Die Historikerin Dr. Ute Planert, heute Professorin für neuere Geschichte an der Universität Köln, hat mit ihrer Dissertation 1998 die diskurs-, mentalitäts- und sozialgeschichtlichen Charakteristika dieser Strömungen aufgezeigt, von denen sich viele bis heute gehalten haben.

Damals waren Ideologien der Ungleichheit, also Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus, allerdings nicht stigmatisiert. Es konnten Vorurteile, die heute nicht mehr gesellschaftsfähig und aus dem öffentlichen Diskurs verbannt sind, offen ausgesprochen werden. Vor allem die Berufsverbände unterstützten und betrieben Antifeminismus, um die Konkurrenz der Frauen und den Verlust männlicher Privilegien auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern.

In unserer Kolumne Missyverse bloggt die Redaktion des Missy Magazines, immer im Wechsel. Ab sofort, jeden Freitag.

Die Argumente gegen die Gleichberechtigung von Frauen und Männern waren offen biologistisch: Frauen seien von Natur aus anders als Männer, grundsätzlich minderbegabt, hätten kleinere Gehirne usw.

Heute ist es das binäre Geschlechtersystem, das naturalisiert wird. Wenn es hingegen um die Benachteiligung von Frauen geht, wird meist eher mit Kultur und Geschichte argumentiert, um Ungleichheit zu rechtfertigen. Trotzdem liegt gerade dem Antifeminismus ein tief sitzender, scheint‘s unausrottbarer Biologismus zugrunde: In einem sexistischen Manifest eines Google-Mitarbeiters, das vor einiger Zeit über den internen Verteiler des Konzerns verschickt wurde, kamen all die alten Argumente wieder hoch: Frauen seien weniger widerstandsfähig gegenüber Stress und deshalb für Führungspositionen ungeeignet. Sie seien „eher an Personen als an Dingen interessiert“ und könnten nicht so gut „systemisch denken“. (Der Mann weiß offenbar nicht, dass das erste Computerprogramm weltweit von einer Frau, Ada Lovelace, geschrieben wurde.) Der offene, unverhohlene Sexismus verstößt gegen die internen Verhaltensregeln des Unternehmens – der Mitarbeiter wurde entlassen. Doch den Antifeminist*innen gilt er als Held.

Seit einigen Jahren organisieren und koordinieren sich antifeministische Gruppen immer besser. Sie werden professioneller. Manche agieren im Verborgenen, etwa in den Kommentarspalten der großen Onlinemedien oder durch Beschimpfung und Beleidigung feministischer Aktivistinnen. (vgl. Katrin Ganz/Kathy Messmer: Anti-Genderismus im Internet, in: Sabine Hark/Paula-Irene Villa (Hg.): Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen) Sie organisieren Demos: etwa die LGBTIQ-feindliche „Demo für alle“ oder den 1000-Kreuze-Marsch gegen Schwangerschaftsabrüche.

Stefanie Lohaus ist Herausgeberin, Mitbegründerin und Redakteurin des Missy Magazines.

Organisierter Antifeminismus kommt in Deutschland aus den Reihen des fundamentalistischen Christentums, aber auch aus dem völkisch-nationalen Umfeld. Gleichzeitig sind antifeministische Diskurse – wie derjenige gegen die Broschüre – in der sogenannten bürgerlichen Mitte salonfähig und es gelingt immer wieder, auch dort Artikel unterzubringen, die in ihrer Ablehnung von Gender und Feminismus rhetorisch den organisierten Antifeminist*innen entsprechen. Auch 2014 wurde eine solche Kampagne, gegen die Soziologin Elisabeth Tuider, deren Schwerpunkt Sexualpädagogik ist und die das Buch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ herausgegeben hat, von Akteur*innen wie Akif Prinicci oder Beatrix von Storch (AfD) verbreitet. Und schließlich in der „Süddeutschen“ mit ähnlichen Argumenten fortgeführt. Das ist tragisch. Denn genau deshalb funktioniert Antifeminismus als eine Art Scharnier zwischen Rechtsextremen, Rechtspopulisten und bürgerlichem Mainstream.