Von Leyla Yenirce

Vor Kurzem diskutierte ich mit mehreren Menschen – weiß, nicht-weiß, Frauen, Männer und solche, die sich als weder noch definieren – darüber, was „Linkssein“ heute bedeutet. Gemeinsam sprachen wir über feministische Themen und ob und wie es möglich ist, Allianzen zu bilden. Eine Aussage, die im Gespräch fiel, hatte mich stutzig gemacht, weil ich sie in abgewandelter Form schon öfters gehört oder erlebt habe. Als wir über nicht-weiße feministische Allianzen sprachen, antwortete ein weißer Mann, dass er dazu nichts sagen könne, weil es ihn ja nicht betreffe und er keinen Sprechraum einnehmen wolle.

© Tine Fetz

Das klingt auf den ersten Blick respektvoll und auch ein bisschen reflektiert. Doch auf den zweiten Blick ist es der falsche Ansatz. Denn mein Kampf für ein besseres Leben und Gerechtigkeit betrifft ihn genauso sehr wie mich, egal ob Mann, Frau, weiß oder nicht-weiß. Nur weil er ein weißer Mann ist, heißt es nicht, dass er mit den Problemen, die ich aufgrund des mir von der Gesellschaft zugeschriebenen Geschlechts und meines nicht-weißen Daseins einnehme, nichts zu tun hat. Alle Diskriminierungserfahrungen, die ich aufgrund meiner Position in der Gesellschaft mache, erfahre ich ja erst in Abgrenzung zu seinen Privilegien, die dieser Position gegenüberstehen.

Sich aus solchen Themen wie dem Bilden von nicht-weißen Allianzen rauszuhalten, weil „Mann“ – im wahrsten Sinne des Wortes – nichts damit zu tun habe, ist ignorant, unsolidarisch und ziemlich bequem für ihn. Wenn man schon nichts dazu sagen möchte, um nicht-weißen Menschen in einer Diskussion den Raum zu lassen, dann kann man wenigstens erkennen, dass das Problem einer Woman of Color das Problem eines jeden Menschen in unserer globalisierten Gesellschaft ist.

Leider habe ich diese Verhaltensweisen schon oft in der linken Szene erlebt. Wenn man selbst nicht betroffen ist, meidet man die Diskussion. Eine Frau mit bildungsbürgerlichem Hintergrund beispielsweise – unabhängig davon ob sie weiß oder nicht-weiß ist – redet gerne über Sexismus, aber wenn es um Klasse geht, wird geschwiegen, weil man dann auf einmal die privilegierte Buhfrau ist. „I see you nice white ladies at the next #Black Lives Matter march, right?“ stand auf dem Schild des Schauspielers Amir Talai, das er bei einem Women’s March im Januar vergangenen Jahr hochhielt und das das Problem des Kreisens um die eigenen Betroffenheit thematisiert.

Statt des Rückzugs fordere ich aber Einmischung und Solidarität. Es ist ja nicht ein bestimmtes identitäres Merkmal, das einen dazu legitimiert, sich einzumischen oder nicht. Was ist das denn auch für ein Ausgangspunkt? Schauen dann alle auf ihre Hautfarbe, bevor sie sich für eine bestimmte Sache einsetzen? Ich muss nicht erst Schwarz sein, um mich gegen Rassismus und für die Rechte von Schwarzen Menschen starkzumachen. Und ich muss mich auch nicht vor einem Gespräch über Rassismus oder Sexismus drücken, weil ich Angst habe, meine Privilegien sehen dabei nicht gut aus. Gleichzeitig bedeutet das nicht, dass ich als privilegierte Person weniger privilegierten Menschen den Raum wegnehmen sollte, sondern überlegen kann, wie ich mich dafür einsetze, dass Menschen, denen sonst wenig Gehör gegeben wird, welches geschaffen wird. Wer sich aber einfach raushält, nimmt zwar keinen Raum ein, hilft aber auch nicht anderen dabei, Raum zu verteidigen.

Während ich mir als Women of Color beispielsweise die Frage stelle, wie ich meine Überlebenschancen in einer Welt vergrößern kann, die strukturell Frauen diskriminiert, kann sich eine männliche Person fragen, wie er mich dabei unterstützen kann, beispielsweise indem er sich auch die Füße am Internationalen Frauenkampftag im langen Demozug abfriert. Ich gehe auch nicht ständig auf feministische Demos, weil es nicht nur jene Themen sind, die mich als Person ausmachen oder mit denen ich mich 24/7 beschäftige. Beispielsweise finde ich genmanipuliertes Essen ziemlich ekelig, gegen TTIP zu protestieren kommt für mich daher genauso infrage.

Mir ist klar, dass man nicht alles im Blick haben kann. Mir geht es auch nicht darum, dass alle über alles Bescheid wissen müssen, sondern für mich ist es eine Frage der Haltung, die ich gegenüber Themen und Dingen habe. Wenn es einen Satz aus meiner Kindheit gibt, an den ich mich ziemlich gut erinnere, dann ist es derjenige, den ich auf den Schultern meiner Großmutter auf Demos mitschrie: „Hoch die internationale Solidarität.“ Ich wusste früher zwar gar nicht, was das bedeutet, aber mir wird immer bewusster, wie wichtig diese vier Wörter sind. Sie können aber auch genauso problematisch sein, beispielsweise wenn der schwarze Block der Autonomen bei einer Kurd*innen-Demo aus Solidarität ganz vorne mit marschiert, jedoch mit ihrer kompletten körperlichen Vermummung und antistaatlichen Attitüde die Kriminalisierung der Kurd*innen nur noch weiter vorantreibt. Aber diesem Thema gebührt ein eigenes Kapitel.