Von Hedi Lusser

Am Sonntag ging die Diagonale 2018 – das Festival des österreichischen Films in Graz zu Ende. An sechs Tagen wurden 167 Filme gezeigt – darunter 81 Premieren und 47 Uraufführungen. Traditionell war ein Großteil der Regisseur*innen persönlich bei den Vorführungen und den begleitenden Filmgesprächen anwesend.

Sophie Stockinger als Mati in „L’Animale“ © NGF/LBF

Die beiden herausragendsten Filme der diesjährigen Diagonale waren: „L’Animale“ von Katharina Mückstein und „Zerschlag mein Herz“ von Alexandra Makarová. Beide handeln von der ersten großen Liebe und den Hindernissen der Figuren, ihre innere Wahrheit zu leben. Wo jedoch „L’Animale“ in der mehr oder weniger geschützten bürgerlichen Mitte spielt, ist „Zerschlag mein Herz“ im mafiösen Zuhältermilieu von Wien angesiedelt.

„L’Animale“
In „L’Animale“ scheint zunächst alles gut zu sein. Gabi (Kathrin Resetarits) und Paul (Dominik Warta) leben mit ihrer Tochter Mati (großartig: Sophie Stockinger) auf dem Land. Gabi ist Tierärztin und Mati, die kurz vor der Matura steht, soll die Praxis einmal übernehmen. Man lebt den bürgerlichen Traum vom Eigenheim im Speckgürtel von Wien. Das Haus ist zwar noch eine Baustelle, aber alles scheint in geordneten Bahnen zu verlaufen. Mati hat ihre Jungsclique, mit der sie im nahe gelegenen Steinbruch Motocross fährt, und Paul spielt Squash.

Alles beginnt sich jedoch zu ändern, als sich Matis bester Freund Sebi in sie verliebt und sie seine Gefühle nicht erwidert. Sie wird zur Außenseiterin. Auch die Fassade der Eltern bröckelt, als Gabi Paul beim Fremdgehen erwischt. Doch anstatt ihn zur Rede zu stellen, schweigt sie eisern. Jede der Figuren in diesem vielschichtigen und wunderbaren Film ist mit ihren Problemen, ihrer Rat- und Sprachlosigkeit alleine und doch ist „L’Animale“ ein durch und durch positiver Film, der Mut macht, sich nicht zu verbiegen und vor dem Leben zu kapitulieren. Um es mit der Regisseurin Katharina Mückstein zu sagen: „Zweifle. Aber habe keine Angst. Brenne. Und ergib dich nicht.“ Ein starker Aufruf zu Mut und Wahrhaftigkeit der Regisseurin und eine große, große Empfehlung von mir!

„Zerschlag mein Herz“
Rocky führt als das Oberhaupt der Familie ein brutales Regime. Seine Freundin Terezka muss anschaffen gehen und sein Neffe Pepe betteln. Als die junge Marcela wegen Schulden von ihrer Familie nach Wien geschickt wird, entspinnt sich eine zarte Liebesbande zwischen den beiden. Alexandra Makarovás wunderbares Langfilmdebüt überzeugt mit starken Frauenfiguren und läuft niemals Gefahr, ins Klischeehafte abzurutschen. Es entspinnt sich vielmehr eine spannende Liebesgeschichte, zwischen Abhängigkeit und kurzen Momenten der Freiheit, im sommerlichen Wien.

„Murer – Anatomie eines Prozesses“
Den großen Preis der Diagonale erhielt dieses Jahr „Murer – Anatomie eines Prozesses“ von Christian Frosch. Traditionellerweise spielt die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit eine nicht unerhebliche Rolle im Filmschaffen Österreichs oder zumindest in der Programmierung der Diagonale. Auch dieses Jahr wurde das Thema schon alleine mit der Entscheidung, „Murer“ als Eröffnungsfilm zu zeigen, in den Vordergrund gestellt. In Zeiten wie diesen und in einem Land wie Österreich, das sich viel zu lange als Opfer des Nationalsozialismus generiert hat, eine wichtige Geste.

„Murer – Anatomie eines Prozesses“ erzählt die wahre Geschichte eines der größten Justizskandale der Zweiten Republik. Dem Großbauern Franz Murer, der unter seinen Opfern als „Schlächter von Vilnius“ bekannt war, wurde 1963 in Graz der Prozess gemacht. Trotz erdrückender Beweise und zahlreicher Zeugenaussagen wird er schlussendlich freigesprochen. Der Film erzählt in erschütternden Details vom Ablauf des Prozesses.

„Western“
Valeska Grisebach entführt uns in ihrem neuesten Film in eine nahezu unberührte Berglandschaft Bulgariens. Deutsche Bauarbeiter sollen dort ein Wasserkraftwerk errichten. Doch der Nachschub lässt auf sich warten und die Dynamik innerhalb der Gruppe und mit den Dorfbewohner*innen bleibt nicht ohne Spannungen. Dieser mit Laiendarsteller*innen gedrehte Film erzählt wunderschön von der Suche nach Zugehörigkeit, von der Fremde und den flüchtigen Momenten des Glücks.

„Gwendolyn“
Zitternd hält die 65-jährige Gwendolyn beide Arme von sich gestreckt, um ihrem langjährigen Trainer Pat zu zeigen, dass sie ihre Hände seit ihrer Krebsoperation nicht höher als auf Schulterniveau heben kann. „It’s a miracle“, hört man Pat aus dem Off sagen. Denn Gwendolyn, die das Gewichtheben erst mit 52 Jahren für sich entdeckt hat, hat trotz gesundheitlicher Rückschlage schon zahlreiche internationale Titel gewonnen. Wir erleben den Alltag der ursprünglich aus Linz stammenden, pensionierten Anthroposophin zwischen ihrer Wohnung und dem Gym in London. Die Regisseurin Ruth Kaaserer nimmt uns in ihrem Dokumentarfilm mit in das Leben einer bewundernswerten Frau voller Humor und Kampfgeist.