Von Sonja Eismann

Genauso wie es unpassend ist, über eine Person mit Depressionen zu sagen „Aber sie ist doch immer so lustig!“, wäre es, sich darüber zu wundern, dass eine Musikerin, die zuckersüße, lebensbejahende Oden an die Liebe vertont, eine Vergewaltigung erlebt hat. Denn nicht zuletzt die neueren Debatten rund um die Diskursivierung dieser Form von Gewalt haben gezeigt, dass die zugeschriebene Reduktion auf den Opferstatus selbst als gewaltvolle Strategie erfahren werden kann.

© Oskar Omne

Dennoch überrascht die Wucht, mit der eine*n der Eröffnungstrack von Jenny Wilsons neuem Album trifft: „Rapin’“ heißt er und er beschreibt, ebenso angstvoll wie nüchtern, unterlegt mit reduziert dräuenden Electrobeats, eine ganz alltägliche und dabei singulär schreckliche Erfahrung der schwedischen Musikerin. Begleitet wird diese erste Singleauskopplung aus Wilsons fünftem Soloalbum von einem Animationsvideo, das im Stile einer „Metropolis“-Dystopie die Serialität dieser Form von Brutalität verdeutlicht, aber auch die ganz partikulären Momente von Schmerz und Hilflosigkeit: Wenn die weibliche Hauptfigur sich nackt zusammenkauert und langsam und scheinbar poetisch entlang einer Linie Blut aus ihrem Körper tritt, bis sie komplett auseinandergeschnitten ist.

Nach dem euphorischen, sommerlich luftigen Pop ihrer früheren Alben ist nicht nur die Enthüllung der eigenen Gewalterfahrung, die sie im Zuge der globalen #MeToo-Proteste öffentlich machte, ein Schock. Auch der neue düstere Elektrostil der Weggefährtin von Karin Dreijer Andersson (The Knife, Fever Ray) überrascht. Dass die Sängerin, die dieses Album allein produzierte und zum ersten Mal auf ihrem eigenen Label veröffentlichte, ihm den Namen „Exorcism“ gegeben hat, erscheint dabei nur konsequent.

Jenny Wilson „Exorcism“
(Gold Medal/Kobalt/AWAL/Broken Silence)
VÖ: 23.03.

Doch trotz einer dunklen musikalischen Grundhaltung und nicht gerade optimistisch stimmenden Songtiteln wie „Disrespect Is Universal“, „Your Angry Bible“ oder „It Horts“ ist die poppig-dancige Energie der früheren Jenny Wilson – und vor allem ihre ausdrucksstarke Stimme, die alles zwischen suggestiv säuseln und discoesk donnern kann – immer noch da. Und vielleicht übersetzt die trotz zahlreicher Awards in ihrer Heimat bei uns immer noch unter dem Label „Geheimtipp“ laufende Musikerin damit Helen Hesters Konzept des feministischen Mesopolitischen in die Musik: Weder rein aufs Mikro- noch aufs Makropolitische beschränkt sucht sie den zwischen beiden Ebenen vermittelnden Middle Ground – und drückt den auch noch so musikalisch aus, dass sich Zorn und Schmerz mit einem uplifting Dance-Spirit verbinden lassen. Und es ist wohl genau in dieser Weise, dass der Exorzismus glücken kann.